Pieter Bruegel (auch Breugel) der Ältere malte 1565 „Die Kornernte”. Als kleiner Junge sah ich immer noch Bauern, gemeinsam mit Mägden und Knechten, auf dem Feld mit Sensen und Rechen Korn schneiden, die Ähren zu Garben zusammenbinden und zum Trocknen aufstellen, so wie auf Bruegels Bild rund 500 Jahre früher. Zur anstrengenden Arbeit gehört auch das gemeinsame Vesper im Schatten.
1985 radelte ich von Garmisch-Partenkirchen nach Flensburg und fand die Felder um so menschenleerer, je größer sie geworden sind. Auf einem Feld, das laut Karte ein mal zwei Kilometer groß war, fuhr ein Mähdrescher auf und ab und leerte ab und zu das Korn in am Feldrand stehende Anhänger um, mit denen es der Bauer zum Hof oder in die Mühle bringen würde. Doch jetzt saß er da allein in der verglasten Kabine der riesigen Maschine und fuhr hin und her. Kein gemeinsames Verspern, keine Gesellschaft, höchstens Radio um die Einsamkeit zu lindern.
Große Traktoren, wie der oben im Bild, können heute mit Hilfe der Satellitennavigation sogar allein über das Feld fahren, so dass der Bauer sich ganz auf die Hilfsgeräte (Pflug, Egge, Striegel, Sähmaschine, Dünger- und Spritzmittel-Verteiler, oder Erntemaschinen) konzentrieren kann. Das ist für den Bauern sicher ein großer Gewinn an Bequemlichkeit. Aber es hat die brotlos gemacht, die früher auf den Feldern ihr Brot verdienen konnten. Damit förderte der Einsatz von Technik die Entvölkerung der Dörfer und dort den Verlust von Gasthäusern, Läden, Ärzten, Hebammen und Bestattern. Einige zogen in die Städte, andere pendeln in die Städte. Dörfer wurden zu Schlaforten ohne eigenes Leben in der Gemeinde.
Wenn die Feldbearbeitung eines Tages völlig automatisiert sein sollte, wie ich es in Ansätzen 2006 bei der Weltmeisterschaft der Feldroboter an der Universität Hohenheim sah, dann sitzt am Feldrand nur noch ein Techniker, der den Roboterschwarm auf dem Feld kontrolliert. Aber vielleicht merkt man bis dahin auch, dass einsame Arbeitsplätze mit den Bedürfnissen des Menschen nach Menschen nicht zusammen passen?
Am Feuerbacher Weg in Stuttgart lässt sich die Entwicklung ebenfalls zeigen. In dem Buch „Nordgeschichten” von Jörg Kurz heißt es:
  1. 1851 trugen die rund 80 „Milchrickele” täglich 1176 Liter Milch in ihren schweren Kannen über den Berg.
An dessen steilem Anstieg in Feuerbach sammelten sich morgens um 5 Uhr die Marktleute, meist Frauen, um gemeinsam Eier, Milch, Gemüse und Holz über den Kriegsberg nach Stuttgart auf den Markt zu bringen.
Und weiter heißt es:
  1. Noch 1895 nahmen täglich 500 bis 600 Einwohner Feuerbachs diesen Weg zu Fuß, um nach Stuttgart zur Arbeit zu kommen, denn die Bahnfahrt war für einen Arbeiter zu teuer.
Und Abends ging man den ganzen Weg zurück, der allein in der Luftlinie gute 5 Kilometer lang ist. Manche kamen sogar von Ludwigsburg (ca. 15 km) zu Fuß zum Markt, waren also nicht nur eine, sondern drei Stunden in jeder Richtung unterwegs. Da ging man doch lieber in angenehmer Gesellschaft, auch, wenn die Zeit der Raubritter längst vorbei war.
Selbstverständlich gab es schon früher Berittene, Kutschen und Kärren, für die, die es sich leisten konnten, aber das war eine Minderheit.
Heutige Pendler sitzen oft allein in ihrem Auto, oder in Bussen und Bahnen und nur wenige verabreden sich zu einer gemeinsamen Fahrt, egal mit welchem Verkehrsmittel.
In vielen Berufen führte der Einsatz von Technik dazu, dass Menschen eingespart wurden. Andere dafür wurden an ihrem Arbeitsplatz so einsam, wie die Bauern.
Während man noch kurz nach dem zweiten Weltkrieg beim Wiederaufbau mit Seilen, die über eine oben am Gerüst angebracht Rolle liefen, Material gemeinsam in die Höhe zog, sitzen heute die Kranführer häufig in luftiger Höhe und erhalten ihre Aufgaben über Sprechfunk.
Tratsche man früher bei der Kehrwoche mit den Nachbarn oder Passanten, kommt heute ein Mensch im Auto angefahren, packt laute Maschinen aus, die jedes Gespräch nahezu unmöglich machen und die dazu führen, dass Passanten ihre Schritte beschleunigen und die Nachbarn genervt die Fenster schließen. Schaut man diesen privat bestellten Straßenkehrern zu, dann sieht man selten glückliche Gesichter, ein Lachen oder hört sie mit anderen auf der Straße plaudern. Er möge sein Gerät auch nicht, verriet mir einer, aber mit Besen und Schaufel lasse sich nicht mehr genug verdienen erklärt er. Früher wurde die Kehrwoche von den Anliegern selbst gemacht. Manchmal konnten damit die Kinder ihr Taschengeld aufbessern.
Ein einsamer „Straßenkehrer” ohne Gehörschutz, der im Umkreis von über 100 Metern zu hören ist.
Obwohl über 80% der Befragten angeben, dass sie sich im Alltag von Lärm gestört fühlen, nimmt die Zahl der lärmerzeugenden Geräte zu. Kein Besen ist hundert Meter weit zu hören, kein Rechen macht so viel Lärm, wie ein Laubbläser oder Laubsauger, keine Schneeschippe lärmt so, wie eine Schneefräse oder Kehrmaschine. Keine Sense lärmt so, wie ein Motorrasenmäher.
Die Öffentliche Hand geht oft mit schlechtem Beispiel voran, denn nur der Fahrer hat einen Gehörschutz, die Passanten und Anlieger nicht. Folglich bleibt der Fahrer einsam, ja wird von denen, die er mit seinem Lärm stört wütend angeschaut.
Wirtschaftlich?
Betriebswirtschaftlich mag sich der Einsatz von Technik lohnen, denn der Bauer, der Straßenkehrer, der Gärtner, sie alle meinen durch den Einsatz von Technik schneller zu sein und damit mehr Aufträge annehmen zu können. Dass sie damit zugleich anderen Arbeit wegnehmen und obendrein Unbeteiligte leiden lassen, das kommt in dieser Rechnung nicht vor.
Volkswirtschaftlich ist die Sache fragwürdig, denn alle die, deren Arbeit von Maschinen übernommen wurde, müssen nun nach Arbeit suchen, die sie oft nicht so nah am Wohnort finden, wie vorher. Also brauchen sie Verkehrsmittel oder müssen zu Fuß gehen, wie die Arbeiter, für die die Eisenbahn zu teuer war, oder gar umziehen (meist in die Städte). Dadurch können die Heimatorte veröden und dort verlieren weitere Berufe ihre Existenz, wie das Laden- und Wirtshaus-Sterben zeigt. Das soziale Leben der Gemeinden leidet, die Menschen werden Heimat-los und unglücklicher, weil die menschliche Begegnung bei der Arbeit und zuhause geringer wird. Die Umwelt wird durch mehr Verkehr (und Maschinen) belastet. Diejenigen, die die Maschinen einsetzen, weil ihnen erklärt wurde, ohne die ginge es nicht, meinen zwar davon einen Vorteil zu haben, aber in Wirklichkeit verdient die Bank und der Hersteller daran. Und bei Bank und Hersteller sind es vor allem die, die es an die Spitze geschafft haben, nicht diejenigen, die an Schalter und Fließband sitzen. Es sind also ganz andere, die dadurch wirklich reich werden, während die Abhängigkeit von den Maschinen auch deren Benutzer nicht glücklich macht. Erst vor wenigen Wochen sah ich einen Straßenkehrer, dessen Gebläse nicht ansprang. Er musste unverrichteter Dinge wieder wegfahren, um die Maschine reparieren zu lassen.
Während Werkzeuge, wie Hammer, Sense, Rechen einfach aufgebaut, lange hielten und gut zu reparieren waren, ist ein Smart-Phone auf eine Nutzungsdauer von drei Jahren ausgelegt. Ähnlich sieht es bei Computern und anderen Geräten aus, was der Laie nur nicht weiß, oder bedenkt. Viele moderne Lampen können nur 10 000 mal ein- oder aus-geschaltet werden. Pkw halten etwa 10 Jahre und werden in dieser Zeit nur 1000-2000 Stunden benutzt. Ein teurer Spaß!
Dass es in vielen Fällen auch anders ginge, zeigt der Blick in die Vergangenheit. Da mähten Tiere das Gras.
Mutterschaf mit Jungem auf der Winterweide im Februar
Sie gaben dem Menschen dafür Wolle, Milch und Fleisch, Leder und Horn. Auch da hütete ein Einzelner oft eine ganze Herde (wie in Zukunft bei Feldrobotern). Worin liegt also der Vorteil der Technik? In der Verlagerung der Gewinne nach oben? Im größeren Ressourcen-Verbrauch? In der gewachsenen Einsamkeit? In der Verödung der Dörfer und Gemeinden? In der Belastung der Umwelt? Oder in einem Zuwachs an Bequemlichkeit, der so groß ist, das manche Menschen Räume aufsuchen müssen, damit ihr Körper die nötige Belastung erfährt, die er braucht, um gesund zu bleiben, und dafür auch noch bezahlen?
Ist die Technik schuld?
Nein natürlich nicht, sondern es ist einerseits ihr falscher Gebrauch. So wie man mit einem Messer Brot schneiden und bestreichen kann, so kann man damit auch jemand erstechen. Aber während das beim Messer recht klar und deutlich für jeden erkennbar ist, ist bei der Anschaffung moderner Geräte oft nicht absehbar, welche Folgen das für den Einzelnen und die Gemeinschaft haben wird.
Und wenn Firmen um des Gewinnes willen ihre Kunden mit minderwertigen Produkten betrügen (z.B. Abgasskandal), dann hat der Einzelne kaum eine Chance sich kundig zu machen und derartige Produkte zu meiden. Kurz, die Wirtschaft wird ihrer Verantwortung nicht gerecht, wenn sie Technik entwickelt, die nicht zum Wohle des Kunden verkauft wird, sondern zum Wohle des Unternehmens. Die Technik ist dabei das Vehikel zur Bereicherung einiger auf Kosten der Allgemeinheit. Und weil sie so komplex geworden ist, kann der Einzelne sie nicht mehr durchschauen und weiß etwa gar nicht, dass sein Rechner gehackt oder gekapert wurde und ferngesteuert benutzt wird, um den Interessen Krimineller zu dienen.
Daher wird es Zeit sich darüber Gedanken zu machen, welche Technik wirklich zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse (Schlaf, Ernährung, Mitmenschen und etwas, das dem Leben Sinn verleiht) wirklich befriedigt, und welche Technik anderen Zwecken dient, etwa der Gewinnmaximierung bei einigen Wenigen.
 
Technik erzeugt Einsamkeit
Carl-Josef Kutzbach
Sonntag, 6. November 2016