Für den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofes wirbt die Bahn mit den Fahrzeit-Einsparungen in der Zukunft, dass man schneller in Ulm sein werde, als heute, was vor allem der neuen Albüberquerung zu verdanken sein wird und wenig mit dem Bahnhofsumbau zu tun hat. Was verschwiegen wird, sind die Zeitverluste der Reisenden während der Bauzeit.
Den Stuttgarter Hauptbahnhof benutzen täglich etwa 250 000 Menschen. Oder in vier Tagen eine Million, im Jahr rund 81 Millionen. Statistisch hat in acht Tagen jeder Bewohner der Stuttgarter Region den Bahnhof einmal benutzt.
Durch die Verlegung der Bahnsteige um über 100 m vom Bahnhof weg (die Baugrube dort wird mittels Stegen überquert siehe Bild oben) müssen Kunden seit 2014 Jahre lang bei Abfahrt und Ankunft einmal, und wenn sie jemand zum Zug bringen, zweimal 100 m zu Fuß zurücklegen.
Das sind (ich lasse die Abholer und Hinbringer mal weg) 25 km Fußwege täglich, oder 9125 km im Jahr.
Das Bild lässt die Entfernung von der Bahnhofshalle (Bögen mit Turm rechts) zu den Bahnsteigen, die links beginnen erahnen.
Fußgänger sind langsam
Für diesen zusätzlichen Fußweg zwischen Bahnhofsbau und Bahnsteigen empfehlen die Verkehrsbetriebe 10 Minuten einzukalkulieren. das sind hoch gerechnet rund 41 666 Stunden, oder 4,75 Jahre Zeitverlust aller Benutzer und das jeden Tag!
Wenn man das auf die offiziell geplante Bauzeit 2014-2021 also sieben Jahre umrechnet, ergibt das grob 63875 km zu Fuß und 12136 Jahre Lebenszeit, oder bei einer Lebenserwartung von 75 Jahren eine zusätzlich vertane Zeit von 161 Menschenleben.
Jedes zusätzliche Jahr Bauzeit bedeutet für die Benutzer weitere 1736 Jahre Zeitverlust und 9125 km zu Fuß.
Der Bahnkunde bekommt dafür allerdings keine Entschädigung. Es gibt aber auch keine Prognose, wie lange der neue Tiefbahnhof funktionieren wird, ehe man in sanieren muss. Bei vielen Betonbauten dauert das nur rund 30 Jahre.
Besonders betroffen sind die Pendler
Wer mit der Bahn nach Stuttgart fährt und zurück, oder umgekehrt von Stuttgart weg und zurück, etwa Pendler, der verliert jedes Mal 20 Minuten. Da der größte Teil der Reisenden dem Nah- und Regionalverkehr zuzuordnen ist (wie schon 1920) verlieren Berufspendler im Jahr ca. (180 x 20=) 60 Stunden. Die Bahn müsste diesen Stammkunden eigentlich einen Rabatt von 60 Stundenlöhnen im Jahr einräumen, wenn sie fair wäre.
Um die verlorene Zeit wieder herein zu bekommen müssten die Pendler für jedes Baujahr 60 Tage lang eine halbe Stunde schneller nach München und zurück fahren, sobald der Bahnhof und der Albaufstieg fertig sind. Aber wer will das?
So sieht der Steg über die Baugrube innen aus. Allerdings ist es nur nachts so leer.
Nebenwirkungen von S21
Da die Bahninfrastruktur nicht ausreichend gewartet wurde (sie soll hinterher abgerissen werden) versagen häufig Weichen, Signale oder Fahrzeuge! Nahezu täglich kommt es zu Zugausfällen und Verspätungen, sowohl im Fernverkehr, als auch im lokalen S-Bahnnetz.
In der obigen Rechnung sind nicht enthalten zudem die Probleme des Stuttgarter Nahverkehrs (es müssen U-Bahnlinien verlegt werden), Staus des Autoverkehrs durch Baustellen und Umleitungen, die verspäteten Busse, die in den Staus stecken, sowie die Umwege für Fußgänger.
Wenn alles fertig ist, wird es dann gut?
Wahrscheinlich nicht, denn der Bahnhof wird längere Umsteigezeiten mit sich bringen, weil man beim Wechsel der Plattform erst auf eine Brücke über den Gleisen hinauf muss und dann auf den anderen Bahnsteig wieder hinunter. Natürlich sind Rolltreppen vorgesehen, die aber an vielen Bahnhöfen bei großem Andrang zu einem Engpass werden, vor dem sich die Menschenmenge staut. Kritiker bemängeln seit Langem, dass die Bahnsteige zu eng seien. Die Bahn löst solche Probleme mit Schildern:
Nur dumm, dass der Aufzug für den Rollstuhlfahrer nur zu erreichen ist, wenn er das Schild missachtet.
Bisher kann man ebenerdig umsteigen. Bis 2014 konnte man bei Bedarf (etwa wenn man weit draußen an kam und zu einem anderen Bahnsteig, oder zum Parkhaus wollte) auch noch durch eine Unterführung den Weg abkürzen, hatte also einen wesentlich geringeren Höhenunterschied zu überwinden, als in Zukunft.
Da der Bahnhof weniger Gleise (8 statt 16) hat, können Züge nicht so lange auf einen verspäteten Zug warten, wie bisher. Alte, Eltern mit Kinderwagen oder Behinderte dürften dann wohl häufiger den Anschluss verpassen, weil sie nicht so rasch zum anderen Bahnsteig wechseln können.
Wirtschaftlich?
Der Bahnhofsumbau sei nur bis zu 4,5 Mrd. Euro wirtschaftlich, sagte Bahnchef Grube einst. Trotzdem wurde der Weiterbau 2013 beschlossen, obwohl die Kosten auf 6,5 Mrd. klettern. Auch nachdem der Bundesrechnungshof und die Bahnexperten Vieregg und Rössler (die beide bisher stets richtig lagen) zu wesentlich höheren Kosten (9-10 Mrd.) kamen, wurde heute vom DB-Aufsichtsrat der Weiterbau beschlossen, da ein von der Bahn bestelltes Gutachten maximal 6,7 Mrd. ergab.
Man muss wohl davon ausgehen, dass die Kosten, die die Bahn ihren Kunden aufbürdet, bei allen Berechnungen keine Rolle spielten. Also rechnen wir mal nach:
12136 Jahre Lebenszeit mal einem Jahreseinkommen von nur 20 000 Euro ergibt 24,272 Mrd. Euro! Und die tauchen in keiner Berechnung der Bahn oder des zuständigen Bundesverkehrsministers auf. Da ergibt die Ansage in den Zügen, dass sich die Bahn beim Kunden dafür bedanke, dass er sie als Verkehrsmittel gewählt hat, plötzlich einen ganz neuen Sinn.