Gewalt beim Gärtnern
Carl-Josef Kutzbach
Freitag, 4. Mai 2018
 
„Gärtner ist die höchste Kunst des Friedens“, sagen die Chinesen. In Stuttgart und anderswo wird jedoch heute gegen die Natur und die Schönheit gekämpft. Mit Gewalt!
 
Wo noch 2005 südlich vom alten Schloss eine Rasenfläche grünte, liegt seit 2007 ödes Pflaster, auf dem immer häufiger Autos parken. Warum? Weil Pflaster billiger ist als Rasenpflege.
 
Auf der früheren Rasenfläche hätte sich wahrscheinlich niemand getraut zu parken.
Nicht Schönheit oder Erholungswert, nicht Verbesserung des Stadtklimas oder die Freude der Betrachter entscheidet mehr über das Öffentliche Grün, sondern der Mammon, die Kassenlage einer der reichsten Städte in einem der reichsten Länder!
Ob der Hundehaufen auf der mit Splitt bedeckten Baumscheibe ein Kommentar dazu sein sollte?
 
Oder wollte der Hund dem Baum etwas Gutes tun?
Gärtnern ist heute nicht mehr Handarbeit, sondern wird durch Maschinenführer „erledigt“, wie auf der Wiese zwischen Schlossplatz und Planie, auf der jedes Jahr eine Eislaufbahn aufgestellt wird, nach der dann ein neuer Rasen verlegt werden muss.
 
Auch sonst wird nicht mehr Rasen eingesät, sondern ausgerollt. Das geht schneller. Damit wird „Grün“ zur Verfügungsmasse, wie in Fussballstadien, die teilweise mehrmals im Jahr ihren Rasen austauschen.
 
Mit Gärtnern hat das nichts mehr zu tun, höchstens mit Auslegeware.
Dass die öffentliche Hand damit „Ein schlechtes Beispiel“ gibt, notierte ich bereits 2014
Dahinter steckt der kapitalistische Aberglaube, dass man um so mehr Geld verdiene, je schneller man eine Arbeit erledige. Daher haben die meisten Gärtner aufgerüstet und ihre mit Hand benutzten Geräte durch solche ersetzt, die einen Motor haben und Lärm verbreiten. Anders - so erklärte es mir einer - könne man heute kein Geld mehr verdienen.
Das heißt aber, dass die sachgemäße Arbeit des Gärtners nicht mehr bezahlt wird. Rosen kann man nicht mit der motorisierten Heckenschere schneiden. Da muss man sich die Triebe genau anschauen, die Augen abzählen und dann wohl überlegt zurück schneiden. Genau so muss man sich überlegen, welcher Standort für welche Pflanze geeignet ist, welche e eine Pflanze braucht und, wie hoch sie wird. Immer wieder werden große Büsche oder gar Bäume gepflanzt,  die man dann nachher kappt, oder entfernt, weil man nicht bedacht hatte, wie hoch und  breit sie werden.
Zum richtigen Gärtnern gehören Kenntnisse und ein Plan
Der Europäer tut sich schwer mit chinesischen Gärten, oder gar japanischen Zen-Gärten, weil er meist deren Konzept nicht kennt. Die Älteren kennen noch das Konzept vieler Nachkriegs-Einfamilien-Häuschen, die schon lange einen Nutz- und einen Ziergarten hatten. Der Nutzgarten diente der Ernährung mit frischem Salat, Gemüse und Obst, der Ziergarten beglückte das Auge und ab und zu zierte auch ein Strauß aus ihm einen festlich gedeckten Tisch. Daneben gab es meist eine größere Wiese über der die Wäsche an der Leine in Wind und Sonne trocknete.
Der Ziergarten war manchmal auch eine Visitenkarte des Hauses und seiner Bewohner, wenn er zur Straße hin lag und allen Nachbarn zeigte, dass die Besitzer einen „Grünen Daumen“ hatten, oder zumindest viel Arbeit in ihren Garten steckten.
Viele dieser Vorgärten fielen bei steigendem Wohlstand dem Auto und dem Bau privater Stellplätze zum Opfer. Die Wäsche draußen zu trocknen wurde mancherorts als Kleinbürgerlich angesehen und deshalb vermieden. Obst, Gemüse und Salat wurden im Supermarkt so billig angeboten, dass er Anbau im eigenen Garten teuerer und mühseliger war. Damit file aber für den Garten das Nutzungskonzept weg. Vor dem haus parkte das Auto, wo einst der Vorgarten war und hinter dem Haus wurde der Nutzgarten zur Wiese, auf die man im Sommer ein aufblasbares Planschbecken oder einen Grill stellte. Damit hatte der Garten aber keine klar umrissenen Aufgaben mehr, sondern wurde nur noch so angelegt, dass er möglichst wenig Arbeit macht.
Welche Auswirkungen es haben kann, wenn man sich nicht auskennt, zeigt „Die Pappel“.
Zugleich ging das Wissen verloren, welche Pflanzen wie behandelt werden müssen und welche Standorte sie brauchen, oder wie man sie vermehrt. Damit ging aber auch die Freude am Gelingen von Aufzucht und Ernte verloren. Ohne diese Freude, erschien der Garten nur noch als Quelle von Arbeit, nicht aber als Bereicherung des Lebens seiner Benutzer. Diese Entfremdung sieht man auch bei öffentlichem Grün.
 
 
 
So werden Verkehrsinseln zwischen den Pflanzen mit Splitt bestreut, der das Aufwachsen von Unkraut verhindern soll, damit die Gärtner weniger Jäten müssen. Dass an einer sowieso schon grauen Straße weiteres Grau in Form von Split keine Augenweide ist, wird vergessen. Darum geht es auch nicht mehr, sondern nur noch ums Sparen! Je weniger Pflege, desto billiger!
Die Pflege von Grünstreifen seiht dem entsprechend simpel aus: Man fräst mit Maschinen alles ab und lässt nur einige wenige Bäume stehen.
 
Es dauert, bis sich im Frühjahr wieder etwas Grün auf dieser Fläche zeigt. Solange muss der Mensch die Folgen des Motorsägen- und Motorsensen-Massakers anschauen. Dass damit zugleich auch der Lebensraum von Insekten und Vögeln beseitigt wird, spielt ebenso wenig eine Rolle, wie das beleidigte Auge des Betrachters, der sich fragt, ob diese Gewalt gegen die Natur auch irgend wann wieder einmal in Gewalt gegen Menschen umschlagen könnte.
Die Natur allerdings schlägt auf ihre Weise zurück, indem sich dort vor allem Pflanzen halten können, denen der Rückschnitt wenig ausmacht und die dann entsprechend wuchern.
 
Nach fünf Monaten ist der Weg wieder halb zugewachsen, weil der brutale Rückschnitt zu einer Auswahl von schnellwüchsigen und unverwüstlichen Pflanzen führte. Das Ziel Arbeit zu sparen dürfte verfehlt worden sein.
Auch die Arbeiter sehen bei dieser Arbeit nicht glücklich aus, soweit man das trotz dicken Gehörschützern und Helmen mit Visier sagen kann. Über den Wandel des Berufs habe ich bereits 2012 „Gärtnern mit Gewalt“ geschrieben.
Schon 2011 habe ich darüber geklagt, dass derartige „Gartenpflege“ die Stimmung drückt: „Warum und die Lust vergeht”. Es ist, als ob man im Wohnzimmer die Blumentöpfe zwar abschneidet, aber trotzdem weiter stehen lässt, oder einen verblühten Blumenstrauß samt Vase nicht entfernt, sondern nur abschneidet. Wenn einem die sachgemäße Pflege von lebenden Pflanzen zu viel ist, dann sollte man künstliche Blumen kaufen. Die muss man nur ab und zu  abstauben.
In Stuttgart dagegen werden dann Grünflächen durch Pflaster ersetzt, wie eingangs geschildert, aber auch am Schillerplatz und anderswo.
Kein Wunder, wenn die Mitarbeiter von Garten- und Landschaftsbau-Firmen von den Gärtnern abschätzig als „Gala-Patscher“ bezeichnet werden.
Dass die Deutsche Bahn entlang ihrer Strecken ähnlich brutal vor-geht und ohne Rücksicht auf Verluste alles ab fräst, ist ein weiteres Beispiel für den rücksichtslosen Umgang mit der Natur. Dem ent-sprechend wüst sieht es längs vieler Strecken aus. Grund ist einer-seits die Sicherheit, denn falls Bäume bei Sturm auf die Strecke stürzen kann das zu Unfällen führen. Andererseits führt man den Rückschnitt nur alle paar Jahre durch, so dass es dann zu dem hässlichen Kahlschlag kommt, der bei regelmäßigem jährlichen Rückschnitt viel weniger stark und hässlich ausfallen müsste. Aber das kostet ja Geld! Dass die Fahrgäste diese Wüsteneien anschau-en müssen und vielleicht den Eindruck gewinnen, sie säßen im fal-schen Zug, das bedenken die Sparkomissare nicht.
Firmen und Privatleute ahmen das, was sie in öffentlichen Grün-anlagen sehen, teilweise nach, teilweise versuchen sie es zu über-treffen. Da wird dann, was früher Grün war und Blumen trug, zur Steinwüste unter der eine Folie das Aufwachsen von unerwünsch-ten Pflanzen verhindert.
Wieder wird mit den Pflanzen auch Insekten und Vögeln der Lebensraum und die Ernährung weg genommen. Dafür erwärmen sich die Steine im Sommer und heizen die Stadt zusätzlich auf.
 
Für Hausverwaltungen - besonders, wenn sie keine Kenntnisse von Natur und Gärten haben - erscheint das Anlegen von Steinflächen eine kostengünstige und wenig Pflege erfordernde Lösung zu sein. Das ist ein Trugschluss, denn spätestens im Herbst fallen Blätter auf und zwischen die Steine, woraus sich Humus bildet.
 
Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit bis neues Grün sprießt, das selbstverständlich neue Arbeit macht.
 
Neues Leben sprießt aus dem „versteinerten” Beet.
Besonders Eiben werden oft Opfer von brutalem Rückschnitt, denn sie überleben fast jede Verstümmelung. Dass das beim Betrachter nicht besonders gut ankommt, habe ich 2014 unter dem Titel „Verstümmelte Natur“ festgehalten.
 
Auch diese Restpinsel von Eiben wurden später noch geköpft!. Ich erspare den traurigen Anblick.
Anderswo wird gleich eine ganze Baumreihe gefällt, um an ihrer Stelle eine Fahrbahn einzurichten, damit ein Investor genug Platz für seine Baustelle erhält.
 
Auf der asphaltierten Fläche, die zeitweise als Ersatzfahrbahn genutzt wurde, stand eine zweite Baumreihe, so groß, wie der rechts im Bild und wurde für den Abriss der alten TWS-Zentrale in der Lautenschlagerstraße und den Neubau an derselben Stelle gefällt. Mittlerweile wurde auch das Haus links entkernt und wird mit neuem Inneren gefüllt. Dafür wurden auch die restlichen Bäume (rechts zwischen den Parkplätzen) entfernt.
Die Bauarbeiter beschnitten 2011 einen der Bäume, die stehen bleiben durften, dermaßen, dass er nicht mehr zu retten war und durch einen neuen, viel kleineren Baum ersetzt werden musste. Nun hat, was eine Allee war, eine Art Zahnlücke.
Auch die Baumreihe zwischen Gleis 1a und den Bankgebäuden, die erst 2006 gesetzt worden war, musste dem Bahnhofsumbau wieder weichen.
 
Bäume auf Zeit? Da bekommt der Satz vom „Bäumchen wechsle Dich“ einen völlig neuen Sinn.
 
Nur noch die Metallgitter verraten 2012, wo sechs Jahre lang Bäume standen. Was würden die Verantwortlichen sagen, wenn man sie ebenso viel zu früh absägte?
Auch eine ehemalige Grünfläche beim Killesberg musste erst einmal abgeräumt und platt gemacht werden, um darauf dann wieder neues Grün zu pflanzen. Und das nach einem Konzept, das sowohl in der Anlage, als auch beim Unterhalt ziemlich teuer und wenig einladend ist, wie ich 2014 unter „Un-wege und ein kaum genutzter Park“ beschrieb.
 
Gärtnern als höchste Kunst des Friedens? Gärtnern als Schaffung eines lebenden Kunstwerkes? Gärten als Nutz-, Zier- oder Lehr-garten, als Sammlung rarer Pflanzen? Gärten als Ort der Muße, der Besinnung?  Gar als Erinnerung an den Garten Eden und das Paradies? Gärtnern als Meditation, wie im Zen-Garten? Gärtnern als Erholung? All das passt nicht mit der Gewalt zusammen, die heute vielen Gärten und Gärtnern (die diesen Unfug mitmachen sollen), sowie dem Lärm, mit dem die motorisierte „Gartenpflege“ die Nachbarn belästigt, zusammen.
Dass die reiche Stadt Stuttgart nicht einmal genügend Gärtner haben soll, um für gefällt Bäume Ersatz zu pflanzen, muss kein Gerücht sein. Es sollen angeblich 19 Gärtner fehlen! Auch scheint sie Leute oder Fremdfirmen zu beschäftigen, die vor nicht zurück schrecken und herzlich wenig Ahnung haben, wie sich kürzlich wieder einmal zeigte, als ein Kunstwerk, das Sanktuarium beim Pragsattel, innerhalb dessen Zaun die Natur wachsen sollte, wie es ihr gefiel, gerodet wurde. Sogar der Oberbürgermeister hielt eine Entschuldigung für nötig.
 
Das Sanktuarium im Jahr 2011. Sanktuarium heißt „Heiligtum” und sollte im Kontrast mit der gepflegten Umgebung und der Straßen-kreuzung zeigen, wie völlig anders es hier aussähe, wenn man die Natur machen ließe.