Manche Wörter sind rätselhaft. Was meint denn „postmodern”? Sicherlich nicht ein einstmals modernes Postamt, das längst geschlossen ist und vor sich hin gammelt, wie das oben im Bild. Ursprünglich meinte der Worterfinder wohl etwas, das nach der Geschichts- und Kunstrichtung „Moderne” käme und verrät schon ein gewisse Sprachlosigkeit angesichts einer Zeit, der man schwer ein Etikett aufkleben kann. Die lateinische Wurzel „modernus” für neu, neuzeitlich, gegenwärtig, wird seit seit dem 15. Jahrhundert in ziemlich vielen Bedeutungen verwendet, taugt also an sich schon für eine präzise Beschreibung wenig. Wenn man nun das lateinische Wort „post” (nach, hinter) davor setzt, dann wird der Begriff auch nicht genauer. Kein Wunder, wenn seit fast 40 Jahren darüber gestritten wird, was man darunter zu verstehen habe. Wenn man das Lateinische übersetzt, dann könnte man sagen: „Zukunft”, denn die kommt nach der Gegenwart, denn neuer als neu und neuzeitlich ist sprachlicher Unsinn.
 
Zwei Briefkästen im Frühjahr 2010, von denen einer mittels der Anzeige „Nächste Leerung” auf „Leerung am Werktag” und der daneben auf ”Leerung am Samstag” eingestellt wurde. Faulheit, Vergesslichkeit, gar ein Scherz des Abholers? Wer weiß?
Ähnlich überzeugend ist das Wort „postfaktisch”, das neuerdings benutzt wird. Interessanter Weise im Zusammenhang mit Leuten, die an den harten Tatsachen (Fakten) wenig Interesse zeigen. Kurioser Weise heißt der Pressesprecher des neuen amerikanischen Präsidenten „Spicer”. Dafür gibt es keine direkte Übersetzung, aber das Verb „to spice” bedeutet „würzen, aufpeppen”. Und das muss er ja wohl im Dienste dieses Präsidenten, den Fakten, oder seine eigenen Aussagen von gestern nicht interessieren, es sei denn, sie nutzen ihm.
Wenn aber Fakten nicht mehr wichtig sind, woran soll man sich dann halten? Fakten bedeuten Verlässlichkeit, Verbindlichkeit, fördern Vertrauen. Ohne Vertrauen - und wie könnte man jemand vertrauen, der heute dies und morgen das Gegenteil behauptet - misslingt das Zusammenleben in Familie, Freundschaften, am Arbeitsplatz, in Gemeinde, Land und Staat.
Dass man in der Wissenschaft stets anmerkt aus welcher Quelle die Daten und Gedanken stammen, dient ja gerade der Überprüfbarkeit. Dadurch soll gewährleistet werden, dass man im Falle eines Fehlers erkennen kann, bis wohin der Gedankengang richtig ist und ab wo man neu darüber nachdenken muss, um die richtige Lösung zu finden. Und in der Wissenschaft weiß man, dass das in den meisten Fällen nur der heutige Wissensstand ist, also, was man heute mit den zu Verfügung stehenden Mitteln erkennen kann. Wissenschaft ist sich ihrer Bedingtheit bewusst.
Wer dagegen die Fakten für belanglos erklärt, der stellt sich bewusst ins Abseits. Vermutlich aus eigenem Interesse. Aber natürlich behauptet er oder sie, da wo man stehe, sei die Mitte. Darüber gab es im Reich der Mitte (China) Jahrhunderte lange Diskussionen, weil man anzweifelte, dass es redlich sei in Peking im Himmelstempel das Zentrum der Welt in Form eines Altares darzustellen.
Solche Zweifel sind Leuten fremd, die alle Fakten nur als störend empfinden und deshalb am Liebsten gleich außer Acht lassen. Solche Leute sind „Realitäts-blind”, sie verweigern sich der Wirklichkeit und einer Weltbetrachtung, der sich ihre Mitmenschen anschließen könnten, eben weil sie auf den verfügbaren Fakten aufbaut und damit Verbindungen und Verbindlichkeiten schafft.
Realitäts-Verweigerung mag für den Einzelnen nur schmerzhaft und gefährlich sein, wenn er eine Tür zu durchschreiten versucht, wo eine Wand ist, aber keine Tür. In der Politik ist sie höchst gefährlich, weil es sinnlos wird Verträge abzuschließen, wenn das Gegenüber sie morgen schon wieder ganz anders interpretiert, als heute.
Und das Gefühl?
Von rechts wurde in den letzten Monaten in die Debatte geworfen, dass Gefühle auch Tatsachen seien. Das ist - wie so oft - nicht ganz richtig und nicht ganz falsch und deshalb gefährlich irreführend.
Gefühle entstehen bei jeder Wahrnehmung der Welt (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Berühren). Jede Wahrnehmung ist mit angenehmen oder unangenehmen Empfindungen verknüpft. Wir erinnern uns bei Feuer, wie wir uns mal die Finger verbrannt haben und sind vorsichtig. Oder wir erinnern die Freude, als wir ein Rätsel gelöst hatten und mögen daher das Rätselraten. Kurz: Zu allem, was wir erleben, lernen, wahrnehmen gehören auch entsprechende Gefühle.
Aber so, wie man als kleines Kind lernen muss, wie die Welt beschaffen ist, indem man sie begreift, Fragen stellt und ausprobiert, so reift auch die Wahrnehmung. Kinder sehen in ihrem Zimmer keinen Staub, weil er für sie nicht von Bedeutung ist. Manche Erwachsene dagegen betreten ein Zimmer und wissen fast sofort, dass es darin eben einen Streit gab, obwohl ihr Verstand das gar nicht so schnell analysieren konnte. Manchmal sind Gefühle tatsächlich schneller, als der Verstand. Und es könnte sein, dass wir noch über weitere Sinne verfügen, die wir aber noch nicht kennen, von denen wir also erst recht nicht wissen, ob wir ihnen vertrauen können, oder nicht.
Aber so, wie der Klavierstimmer oder viele Musiker geübt haben ein Instrument nach dem Gehör zu stimmen, so braucht auch das Gefühl den Verstand um zu lernen, wann man sich auf das Gefühl verlassen kann, und wann es einen in die Irre führt. Manches, wie das Stimmen eines Musikinstrumentes, ist Übung. Ein Kind kann aber kaum widerstehen, wenn man ihm einen Berg Schokolade anbietet, ein reiferer Mensch hat gelernt, dass es klug ist das Vergnügen in Maßen zu genießen, um keine Magenverstimmung zu bekommen.
Man könnte sagen, dass das Gefühl ähnlich einem Musikinstrument, gestimmt, geschult und geübt werden muss, damit man weiß, wann man sich darauf verlassen kann.
Was Rechte meinen, wenn sie Gefühle ansprechen ist aber etwas Anderes. Es geht darum ein ungenaues Unbehagen - das angesichts vieler Entwicklungen seit ca. 3 Jahrzehnten zunimmt - für ihre Zwecke zu nutzen. Man stimmt den Leuten zu, dass da etwas nicht in Ordnung sei, und beschreibt es dann so, wie es einem passt, um es politisch für die eigenen Ziele benutzen zu können. Nur wenige Menschen sind nicht angenehm berührt, wenn man sie ernst zu nehmen scheint und ihre Meinung für wertvoll und wichtig hält. Wir unterwerfen uns gern, dem, der uns lobt.
Die wachsende Unsicherheit in der Gesellschaft, die politische Heimatlosigkeit vieler Bürger ist natürlich eine Mischung aus Gefühl und Verstand. Wenn die Politik Einwände vom Tisch fegt und mit „Sachzwängen” argumentiert, die leider keine andere Lösung zuließen, dann ist das zumindest fragwürdig, sehr wahrscheinlich aber dumm, denn es nimmt die Sorgen (Gefühle) der Bürger nicht ernst.
Wenn dann noch die Politik unfähig oder unwillig ist Wünsche breiter Bevölkerungsschichten umzusetzen (über 70 % haben die Zeitumstellung satt und wären sie gerne los), dann fragt sich der Bürger zu recht, wozu die Politik denn da sei und was sie leiste. Hat der Bürger erst einmal das Vertrauen in die Führung verloren - und das ist in vielen Ländern so - dann haben Populisten (Leute, die dem Volk nach dem Mund reden) gute Chancen noch mehr Schaden anzurichten. Dieser Schaden ist dann aber ganz real und gar nicht postfaktisch.
 
 
 
Post-modern? Post-faktisch?
Carl-Josef Kutzbach
Montag, 23. Januar 2017