So schön, wie auf diesem sommerlichen Bild, ist der Blick ins Neckartal nicht immer. In Stuttgart geht Montagabend nach über zwei Wochen der bisher längste Feinstaubalarm zu Ende. Feinstaub bezeichnet Stäube, die sehr klein sind. Weil sie sehr fein sind werden sie von den Härchen in der Nase nicht zurück gehalten und können in die Lunge gelangen. Wie bei Gewürzen ist die Wirkung um so größer, je kleiner die Staubkörnchen sind. Allerdings spielt die Größe allein nicht die entscheidende Rolle, sondern - um im Bilde zu bleiben - von welchem Gewürz, also Ursprung sie stammen. Das fein verteilte Salz in der Seeluft schadet offenbar nicht, weil diese Luft ja sogar für Heilkuren genutzt wird. Der Rauch von Zigaretten oder Dieselmotoren kann dagegen sehr wohl schaden. Es kommt also nicht nur auf die Größe an, sondern ob der feine Staub giftig ist, oder harmlos. Das wird bei Feinstaubalarm aber nicht untersucht.
So, wie bei einem Gewürz die Form und der Grad der Zerkleinerung mit darüber entscheidet, wie intensiv es würzt, so sind auch beim Feinstaub die Wirkungen von der Form und der Größe, aber eben, wie bei Gewürzen auch, nach der Art des ursprünglichen Materials unterschiedlich.
Da auch Blütenstaub oder Sporen von Pilzen so feine Partikel erzeugen können, darf man vermuten, dass der menschliche Körper sich an natürlich vorkommende Feinstäube anpassen konnte, aber wir wissen nicht wie und bis zu welcher Menge.
Grundsätzlich kann man sich leicht vorstellen, dass es ziemlich aufwendig ist fein in der Luft verteilten Staub zu messen. Um so kleiner, um so schwieriger kann man wohl als Faustregel sagen.
Obwohl man also noch lange nicht alles über Feinstaub weiß, sind die bisher bekannten Tatsachen so bedenklich, dass in Europa die Werte des höchstens zulässigen Feinstaubes in der Luft seit 1980 immer mehr eingeschränkt wurden. Werden die Grenzwerte überschritten, muss ein Luftreinhaltungsplan aufgestellt werden. Da in Stuttgart die Werte seit Langem immer wieder überschritten werden, drohen der Stadt Geldbußen, die aber die Luft auch nicht sauberer machen würden.
Zu den Gegenmaßnahmen gehört in Stuttgart der Feinstaubalarm, der ausgelöst wird, sobald der Wetterdienst eine Wetterlage erkennt, bei der die Luft zu wenig von Wind, Regen oder Schnee „gereinigt” wird. Regen und Schnee brauchen zu ihrer Entstehung Staubkörnchen, an denen sich das Wasser anheftet. Wind verteilt den Dreck in der Luft über einen größeren Raum. Diese so genannten Inversionswetterlagen sind vor allem im Winter nicht ungewöhnlich. Man kann sie auch als Laie erkennen, wenn nämlich der Rauch oder Dampf aus Kaminen nicht so recht weiß, ob er nach rechts, links, oder oben entweichen soll und „unschlüssig” herum wabert, statt in die Höhe zu steigen und sich dort zu verteilen.
Der Anblick erinnert etwas an den berühmt berüchtigten Smog von London, eine Mischung aus Smoke (Rauch) und fog (Nebel), die in der britischen Hauptstadt früher viele Atemwegserkrankungen und Tote zur Folge hatte.
Dieselbe Blickrichtung, wie oben, allerdings morgens etwa eine Viertel Stunde nach Sonnenaufgang im Januar 2017. Dicke Luft in Stuttgart. Die Sonne dringt kaum durch die bodennahe Kaltluft, in der sich Staub und Feinstaub angesammelt haben, weil wärmere Luft darüber wie ein Deckel die kalte Luft in den Tälern hält. Die Berge auf der anderen Seite des Neckars sind aber nicht mehr zu sehen.
Auch, wenn noch längst nicht alles erforscht ist, weiß man, dass Feinstaub die Gesundheit gefährdet. Mehr Allergien, Asthma, Atemwegsbeschwerden, Lungenkrebs, mehr Mittelohr-Entzündungen bei Kinder gelten als sicher. Es besteht der Verdacht, dass auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen davon gefördert werden könnten. Für Deutschland rechnet eine Studie mit 47 000 Todesfällen in Folge der Feinstaubbelastung. Die WHO (Welt-Gesundheits-Organisation) geht davon aus, dass sich in Deutschland die Lebensdauer der Menschen um 10,2 Monate auf Grund der Belastung mit Feinstaub verkürzt. Es wäre also gut, wenn man alles tut, was möglich ist, um diese Belastung zu senken. Deshalb muss man auch gar nicht so sehr im Detail untersuchen, welche Gifte einzelne Staubkörnchen enthalten. Die heute übliche Mischung in den Städten ist schädlich genug.
Das ist auch der Gedanke hinter dem Stuttgarter Feinstaubalarm, der die Bürger dazu auffordert das Auto stehen zu lassen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Zwar sind die Busse auch nicht völlig Abgas-frei, aber wenn zehn, zwanzig, dreissig Menschen im Bus mitfahren, statt das eigene Auto zu benutzen, dann verringert das die Abgase und den Feinstaub, weil die Busse, zumindest die neueren, Filter haben, die die Belastung senken.
Ich weiche hier mit Absicht dem Streit um Zahlen aus, weil der an der wesentlichen Tatsache vorbei geht, nämlich, dass ein erheblicher Teil der Feinstäube in Städten von Menschen erzeugt wird und seine Gefährlichkeit schwer einzuschätzen ist, weil die Zusammensetzung schwankt. Da es aber keine ungefährliche Dosis für Feinstaub gibt (die Vorgaben und Grenzwerte sind politische Kompromisse, nicht Ergebnis medizinischer Versuche), sollte man jeglichen von Menschen gemachten Feinstaub vermeiden.
In Stuttgart weisen also bei Feinstaub Schilder darauf hin, dass man auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen soll, ja man bekommt sogar den Fahrpreis verbilligt und muss nur einen Kinderfahrschein lösen, was Fahrkartenautomaten auch anzeigen.
Und was passiert? Sind Busse und Bahnen brechend voll? Sparen die Schwaben und Zugezogene? Sind die Straßen leer und Busse und Bahnen voll? Sieht man nur noch Elektrofahrzeuge? Denken die Autobesitzer an ihre eigene Lunge und die ihrer Nachbarn? Oder fürchten sie, dass es in Zukunft Fahrverbote geben könnte, wie in anderen europäischen Städten?
Nein, ungefähr 3 % verhalten sich vernünftig und rücksichtsvoll. Der Rest fährt munter weiter mit Autos und SUVs (Stadt-Untauglichen-Vehikeln) zum Mittagessen ein paar Straßen weiter, zum Einkaufen, zum Friseur, ins Café, oder lässt morgens beim Eis abkratzen den Motor laufen. PS-Protze röhren, wie sonst auch, durch die Straßen. Heute bei einem Spaziergang sah ich nicht nur ein Paar, das sich im Auto bei Laufendem Motor unterhielt (vermutlich damit die Heizung es gemütlich warm hielt), sondern erlebte, wie ein junger Luxuskabriofahrer, kurz nachdem er geparkt hatte und am Handy spielte, den Motor wieder anwarf und die Mütze aufsetzte, weil ihm offenbar kühl wurde. Lag es an meinem Vorwurfs-vollen Blick, dass er später das Verdeckt schloss?
Wer sich in die Stadt begibt, hat den Eindruck, dass der Alarm bei einigen Autofahrern die Hoffnung weckt, dass nun die Straßen frei wären, denn der Verkehr ist heftig und Staus weit verbreitet, worin dann auch die Busse stecken bleiben.
Die Automobilbranche, von der Stuttgart viel zu abhängig ist, wie die IG-Metall schon vor Jahrzehnten in einer Studie feststellte, lässt auch gleich Politiker verkünden, dass Fahrverbote nichts bringen würden. Man arbeite längst an sauberen Lösungen. Die Botschaft klingt nach den letzten Abgasbetrügereien nicht sonderlich glaubwürdig. Und die Elektromobilität hat man ja auch erst sehr spät als Chance begriffen.
Aber das Erschütterndste ist für mich, dass 97 % der Autofahrer weder um ihrer eigenen Gesundheit, noch um der ihrer Kinder, oder Mitmenschen Willen bereit sind auf ihre Bequemlichkeit zu verzichten. Man sollte meinen, dass mancher viel dafür gäbe, sein Leben um 10,2 Monate zu verlängern.
 
 
 
Feinstaubalarm, oder Hauptsache bequem
Carl-Josef Kutzbach
Sonntag, 29. Januar 2017