Der Fahrer des Lieferwagens, der die Post an jene Kästen verteilt, aus denen die Briefträger ihren Nachschub holen, macht es sich so bequem, wie möglich und fährt am Liebsten so nah wie möglich zum entsprechenden Kasten, egal, ob er dazu auf den Gehweg, in Fußgängerzonen, oder sonst wohin fährt, und dabei die Regeln der Straßenverkehrs-Ordnung verletzt. Ähnlich ist es mit den Lieferwägen, die Pakete der Post und anderer Unternehmen verteilen, oder solche an Paketabgabe-Stellen aufladen.
Ganz früher nahm der Briefträger nur so viel Briefe mit, wie er in seiner Umhängetasche tragen konnte. Dann wurden die Touren verlängert, die Briefträger bekamen Wägen zum Schieben, die etwa vier mal so viel Post fassen, wie früher die Umhängetasche und dann wurden die Touren verlängert, Pausen gestrichen und die Kästen aufgestellt, aus denen die Briefträger nun ihren Karren auffüllen. Damals wurde der Nachschub noch mit einem gelben Postauto ausgefahren. Die Fahrer waren bei der Post angestellt, die ein Staatsbetrieb war, weil sie als Infrastruktur der Daseinsvorsorge diente.
Mittlerweile hat man sie zum Privatunternehmen gemacht, einige 10-100 000 Mitarbeiter entlassen, darunter die Fahrer die nun zum Teil als schlecht bezahlte Selbständige „im Auftrag der Post“ fahren und damit das ganze Risiko tragen, das früher der Staatsbetrieb trug, also Krankheit, Unfall, Schaden am Fahrzeug, lange Arbeitszeiten, wenn es irgend wo klemmt, ohne dafür einen Ausgleich zu bekommen.
Die Fahrer verstehen sich auch nicht mehr als Aushängeschild der Post, so dass sie sich bemüßigt fühlten sich anständig und vorbildlich zu verhalten, sondern es geht nur noch darum den schlecht bezahlten Job so rasch wie möglich und mit so wenig Aufwand wie möglich zu erledigen. Aus der früher vielleicht vorhandenen Loyalität ist eher eine Art Hass auf den Ausbeuter Post geworden, für den man arbeitet, solange man keine bessere Stelle findet. Ähnliches gilt auch für private Zusteller.
Das bedeutet, die miesen Arbeitsbedingungen, die der Staat als Besitzer der Post bei der Privatisierung in Kauf genommen hat, führen verständlicher Weise nicht zu guter Stimmung bei denen, die sie ertragen müssen und diese miese Stimmung sieht man nicht nur an deren Verhalten, sondern zum Teil auch an ihren Gesichtern, wenn sie gehetzt durch die Gegend eilen. Zeit für ein freundliches Wort, für einen Scherz, einen Plausch haben sie schon lange nicht mehr.
Das bedeutet, dass die schlechte Stimmung, die miese Arbeitsbedingungen erzeugen, sich auf ganz viele Menschen überträgt, auch, wenn die direkt mit den geschundenen Fahrern kaum etwas zu tun haben, außer, dass sie sich über deren Rücksichtslosigkeit ärgern, oder bei den Zustellern der Post schämen, dass diese Karren schieben, die bis über 90 Kilo schwer sein können und morgens natürlich auch in Busse und Bahnen gehoben werden müssen. Oder jene Radler und Mopedfahrer anderer Anbieter, die auf den Gehwegen herum fahren, obwohl sie das nicht dürfen, aber andernfalls müssten sie bei vielen Briefkästen absteigen, das Fahrzeug abstellen und könnten die Briefe nicht im Sitzen am Hausbriefkasten einwerfen. Und natürlich sind sie dran, wenn sie dabei ein Kind oder alte Leute anfahren, die auf die Fußgänger-Schutzzone Gehweg vertrauen und ohne vorsichtig nach rechts und links zu blicken aus dem Haus auf den Gehweg treten. Auch hier sind es die schlechten Arbeitsbedingungen, die dazu führen, das wildfremde Menschen in Gefahr geraten.
Nun sind die Arbeitsbedingungen in den letzten Jahrzehnten ja nicht nur bei Bahn, Post und Telekom schlechter geworden, womit der Staat ein schlechtes Beispiel gab, sondern auch in der Privatwirtschaft. Zig Firmen entledigten sich teurer Mitarbeiter, indem sie Tarifflucht begingen, oder die Firma so „umstrukturierten”, dass billigere Arbeitsplätze in Tochterfirmen entstanden, oder Mitarbeiter zwangsweise zu selbständigen Subunternehmern wurden, für die das Unternehmen sich die Sozialabgaben spart und das eigene Risiko senkt, egal, ob das die Wurstverkäuferin in einem Kaufhaus-Supermarkt war, oder Lastwagenfahrer, die gedrängt wurden den Lkw selbst zu Kaufen oder zu Leasen und im Krankheitsfall einen Ersatzfahrer zu stellen, oder Fernsehjournalisten, die gezwungen wurden Produktionsfirmen zu gründen und ihre Beiträge vorzufinanzieren und dabei Kameramann, Toningenieur, oder was immer sonst noch gebraucht wurde selbst anzuheuern und deren Bezahlung vorzustrecken. Überall nahm der Druck auf die zu, die die Arbeit machen.
 
 
Wie Druck die Größe und Struktur eines Körpers verändert zeigen diese beiden Prüflinge in der Material-Prüfungs-Anstalt in Stuttgart: Der Rechte sieht immer noch so aus, wie der Linke, bevor er unter Druck gesetzt wurde. Wenn schon Metall so auf Druck reagiert, wie verändert dann Druck einen so vielseitigen und weichen Organismus, wie den des Menschen?
Andere Firmen, wie etwa Nokia in Bochum, schlossen ganze Fabrikanlagen, für deren Errichtung man Zuschüsse bekommen hatte, und verlegten sie in Gegenden, wo die Löhne billiger waren, um von dort nach ein paar Jahren wieder weiter zu ziehen in ein Land, das noch günstiger Löhne zu bieten hatte. Dass dabei die Mitarbeiter unverschuldet plötzlich vor der Arbeitslosigkeit standen, nahmen die hohen Herren mit ihren wesentlich höheren Gehältern in Kauf. Hauptsache die Zahlen stimmten. Die Menschen wurden dabei vom geschätzten Mitarbeiter zum störenden Produktionsfaktor, den man im Idealfall durch nimmermüde und nie streikende Roboter zu ersetzen versuchte.
Man braucht sich daher nicht zu wundern, wenn in der gesamten Gesellschaft die Stimmung in den Keller fällt, Leute Angst um ihren Arbeitsplatz haben, den in vielen Branchen demnächst Roboter ausfüllen könnten. Angst und das Gefühl überflüssig zu sein, sowie schlecht behandelt zu werden und sowohl am Arbeitsplatz, als auch als Verbraucher keinen fairen Gegenwert für die eigene Leistung zu bekommen, das stürzt auch robuste Menschen in Zweifel, ob denn das aktuelle politische und wirtschaftliche System noch den Menschen dient.
 
Das Bild oben zeigt einen Kessel, der unter Druck einen Längsriss bekam. Das Bild unten zeigt einen, der durch Druck ebenfalls zerstört wurde. Allerdings flogen da Teile davon. Beides ebenfalls bei der MPA in Stuttgart durchgeführte Versuche. Beim unteren Behälter sieht man gut, wie dick (zwei bis drei Finger breit!) die metallene Wand war, die hier durch Druck zerriss.
 
 
 
 
Miese Stimmung durch miese Arbeitsbedingungen
Carl-Josef Kutzbach
Mittwoch, 22. März 2017