Perverse Spiele
 
Spielen ist die wirkungsvollste Form des Lernens. Das Kind erprobt im Spiel, was es bei anderen gesehen hat. Egal ob es beim Sprechenlernen Laute nachahmt, ob es mit anderen Kindern "Vater-Mutter-Kind" spielt, ob es mit Bauklötzen baut, oder mit Fahrzeugen herumfährt. Immer geht es darum sich einerseits der Welt der Großen zu nähern und andererseits sich darüber klar zu werden, wer es denn ist, welche Fähigkeiten es schon hat, welche es gerne hätte.
Spielen vermittelt körperliche Fähigkeiten, Beweglichkeit, Geschicklichkeit, aber auch Rollen-Erfahrungen (Vater-Mutter-Kind), durch die es das Verhalten und die Gefühle anderer Menschen besser versteht und nachempfinden kann. Spielen ist ein wichtiger Schritt im sozialen Lernen, aber auch, um Probleme zu verstehen und zu lösen, etwa mit einem Mechanischen Baukasten die Mechanik besser zu verstehen und selbst Fahrzeuge mit Lenkung, Krane, Bagger, Seilbahnen oder was sonst fasziniert zu bauen.
Wenn Mädchen früher unbedingt eine Puppenstube haben wollten, um das Tun der Mutter nachahmen zu können, dann wird deutlich, dass schon Kinder die Spielregeln und Rollen der Erwachsenenwelt verstehen und sich ihnen spielerisch nähern. Jungens schwärmten viele Jahre für eine Eisenbahn, weil sie davon träumten eines Tages Lokführer zu werden.
Anfangs dienen Spiele dem Wiedererkennen und Erinnern, etwa Memory, später kommen dann Geschicklichkeitsspiele, wie Mikado und Taktikspiele hinzu, wie Schach. Es gibt Spiele mit pädagogischen Hintergedanken "Mensch ärgere Dich nicht!" und Glücksspiele, bei denen man den Ausgang nicht durch eigenes Können bestimmen kann, etwa Würfeln. Den allermeisten weit verbreiteten Spielen ist eigen, dass man sie gemeinsam spielt und sie auf das Leben vorbereiten.
Mit dem Siegeszug digitaler Medien kam etwas Neues hinzu: Spiele, die man auch allein spielen kann (wenn kein zweites Gerät vorhanden war) und Spiele, die fragwürdige Inhalte und Ziele hatten und haben. Etwa das Zerstören von Dingen oder das Töten von Menschen. Manche Spiele vermengen auch Beides (für das Leben Nützliches und Schädliches). Das bedeutet aber, dass der Spieler etwas lernt, was ihm im wirklichen Leben nichts nützt, sondern sogar schädlich sein kann, weil es im Gegensatz zu den Werten und Regel der Gesellschaft steht.
Etwa, wenn ein Fahrsimulator Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung honoriert. Das hat für Heranwachsende und manche Erwachsene einen großen Reiz, weil man endlich mal "die Sau rauslassen" kann. Und weil man damit Geld verdienen kann, vor allem, wenn man es heimlich alleine spielen kann, sodass weder Mutter noch Partnerin entsetzt sind, produzieren die Hersteller solche Spiele. Wäre da nicht Kegeln besser, weil körperliche Bewegung, bei der man seine Gefühle in den Wurf legen kann, zugleich auch dem Körper dient?
Zielen und Treffen
Es ist ein tiefes Bedürfnis von Menschen Ziele zu erreichen. Das altgriechische Wort, das in der Bibel mit "Sünde" übersetzt wird, bedeutet eigentlich "ein Ziel verfehlen". "Scheitern" in diesem Sinne bedeutet, das man ein Ziel angestrebt hat, es aber verfehlte oder nicht erreiche. Das Scheitern lässt an den eigenen Fähigkeiten zweifeln, stellt das Selbstbild in Frage. Unzählige Spiele beschäftigen sich mit dem Zielen und Treffen, egal ob Pfeil und Bogen, ob Wurfpfeile, oder Ballspiele, bei denen ein Tor, ein Korb getroffen werden muss. Man muss sich nur die Vielfalt solcher Spiele vergegenwärtigen, um zu erkennen, dass dahinter ein tiefes menschliches Bedürfnis steht.
Allerdings lernte man beim Umgang mit einer Waffe in Friedenszeiten als Erstes, dass man sie nie auf einen Menschen richtet. Wie jedes Verbot lockt das natürlich vor allem in der Pubertät zur Übertretung.
Genaus so ist für die meisten Menschen sehr wichtig, welche Stellung sie innerhalb einer Gruppe haben. Also misst man sich mit anderen und freut sich, wenn man Schützenkönig, Kegelkönig, Bester beim Minigolf, Tennis oder irgend einem anderen Wettbewerb wird. Wer weit oben in der Hierarchie sitzt, hat gute Chancen reich zu werden und bei Konflikten zu überleben. Der Schwächere muss sehen, wo er bleibt und das bedeutete früher sehr häufig Not und frühen Tod. Es wundert daher wenig, wenn aus spielerischem Wettstreit, wie etwa beim Sport, gewalttätiger Ernst wird, egal ob bei Fan-Krawallen oder Kriegen zwischen Ländern oder Bevölkerungsgruppen.
Beide Verhalten, das Zielen und Treffen und Rangkämpfe spielen daher bei Heranwachsenden eine wichtige Rolle und faszinieren. Egal ob der kleine Bub betont, dass er schon "so groß" sei, oder ob Jugendgruppen Wettkämpfe abhalten, oder, wo es diese  weitgehend friedliche, weil geregelte Form des Wettkampfes nicht gibt, Bandenkriege entstehen.
Ein dritter wichtiger Antrieb für junge Menschen ist das Ausprobieren (der eigenen Person, aber auch anderer Verhaltensweisen), weil es die Aufgabe der nachfolgenden Generation ist die Traditionen der vorhergehenden in Frage zu stellen, um so nur diejenigen Verhaltensmuster zu übernehmen, die sich immer noch bewähren. Dass bei diesem Ausprobieren auch bewährte Grenzen überschritten werden, dass dabei auch mal etwas schief geht, ist wahrscheinlich. Könnte der junge Mensch bereits alles richtig bewerten, bräuchte er ja keine Versuche anstellen, die zwangsläufig auch mal schief gehen können.
Weil junge Menschen auch "Gut und Böse" in Frage stellen müssen, kommt es auch da zu Grenzüberschreitungen, die hoffentlich keine bleibenden Schäden zur Folge haben. Das macht junge Menschen auch besonders empfänglich für Gedanken, die andersartig sind, die ihnen originell erscheinen. Sie engagieren sich für Schwache (vielleicht auch, weil sie ahnen, dass etwas für sich selbst zu fordern noch nicht angemessen wäre) und Minderheiten. Sie neigen dazu auch extremen politischen Positionen erst einmal Gehör zu schenken. Man ist fasziniert von anderen Kulturen und vergleicht sie mit der eigenen (die man meist nur in Grundzügen kennt). Kurz junge Menschen suchen nach ihren Grenzen und gehen bei der Suche auch mal über Grenzen hinaus, die ihnen eigentlich gut tun würden, die sie aber in ihrem Wert noch nicht erkennen können. Das sollte man den Heranwachsenden nicht vorwerfen, sondern sie eher, wie ein Geländer begleiten, so dass sie bei Bedarf Halt finden, aber sonst selbst ihr eigenes Gleichgewicht suchen und wahren können.
Alkohol für Säuglinge?
Die Gesellschaft hat sich dafür entschieden, dass Alkohol oder Zigaretten nur an Menschen ab einem gewissen Alter verkauft werden dürfen, weil man gelernt hat, dass sie bei Jüngeren zu schwereren Schäden führen, weil deren Körper empfindlicher sind und sie die nötige Selbstkontrolle (die auch manchen Erwachsenen fehlt) noch nicht entwickeln konnten.
Man darf erst ab einem gewissen Alter auf der Straße fahren, manche Filme sehen, heiraten, wählen, Geschäfte abschließen und ähnliche Dinge tun, die entsprechende Vorkenntnisse, Reife oder Fähigkeiten voraussetzen, oder bei denen die Gesellschaft meint, dass man damit ab einem gewissen Alter vernünftig und verantwortungsbewusst umgehen kann. Wobei es immer Menschen gibt, die früher und andere die später reifen. Die meisten Heranwachsenden fühlen sich durch solche Regeln bevormundet und schimpfen: "Ich bin doch kein Baby mehr!" Das ist aus ihrer subjektiven Sicht durchaus verständlich. Aber die Gesellschaft braucht nun mal einfach zu verstehende und zu kontrollierende Regeln und da bieten sich Altersangaben an.
Nun ist es aber auch durch die Digitalisierung erheblich einfacher geworden an Sachen heran zu kommen, für die man vielleicht noch nicht reif ist. Wenn Porno-Seiten im Internet nur fragen ob man 18 sei, dann kann jeder Grundschüler das mit einem Klick bestätigen. Und ähnlich einfach haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten viele Jugendliche Spiele "besorgt", die ihnen vielleicht nicht gut tun.
Schon früher wurde dem Fernsehen vorgeworfen, dass ein Jugendlicher bis zum Schulabschluss mehr Morde und Leichen, mehr Katastrophen und Elend gesehen habe, als in früheren Zeiten (im Frieden) im ganzen Leben. Deshalb wurden einige Filme im Spätprogramm gezeigt, weil man da die Jugend im Bett wähnte. Sobald es programmierbare Videorekorder gab, war das keine Lösung mehr. Das bedeutet aber, dass einige Jugendliche von für sie ungeeigneten Filmen Alpträume, Ängste oder Schlimmeres erlitten. Man kann das aber auch bei Erwachsenen, vor allem einsamen Alten beobachten, die viel fernsehen, dass sie häufig ängstlicher sind, als Leute, die viel unter Menschen sind und dabei wesentlich weniger schlechte Erfahrungen machen.
Wie wir die Welt sehen, hängt von unseren Erfahrungen ab und davon, wie wir selbst uns sehen. Wer davon ausgeht: "Ich schaffe das!" geht anders durchs Leben, als jemand, der Zweifel am eigenen Wert und an der eigenen Person hat: "Ich trau mich nicht!"
Dieses Selbstbild wird aber auch im Spiel gelernt und geschaffen. Daher sind Spiele, die die Einsamkeit des Spielers fördern unter Umständen problematisch. Gerade wer einsam ist, vertreibt sich gerne die Zeit mit Spielen am Rechner. Doch dadurch erfährt der Einsame nicht, ob ihn andere mögen, oder wie er selbst bei anderen ankommt, oder wie er sie für sich gewinnen kann. Es besteht daher die Gefahr der Isolierung und damit einem Verkümmern sozialer Fähigkeiten. Zugleich fällt aber auch die Korrektur durch Andere weg, die einem bei Bedarf sagen: "Na hör mal, das ist doch Unsinn! Das stimmt doch nicht, das sehe ich aber ganz anders!" Der Einsame ist eher in der Gefahr sich in Gedanken zu verrennen, eben weil er sie weniger im Austausch mit anderen überprüft.
Wenn dann die Erwachsenen sagen: Mensch geh doch mal raus, besuch doch mal deine Freunde, dann müsste man vielleicht zugeben, dass man keine mehr hat (was ein nützliches Warnsignal sein könnte), aber gerade als Heranwachsender will man groß und stark und handlungsfähig erscheinen. Dann spielt man vielleicht auch aus Trotz Spiele, die von Erwachsenen als fragwürdig angesehen werden. Man schwingt sich in Ballerspielen auf zum Herrn über Leben und Tod auf, genießt die Macht, die man im Alltag nicht hat und fühlt sich toll. Aber damit wird der Alltag noch unerträglicher und man flieht in die Scheinwelt des Spiels, das Machtphantasien (die die meisten Menschen haben) befriedigt und einen endlich mal als Helden und ganzen Mann dastehen lässt, während im Alltag die Schule die Wissenslücken bloß legt, die Unsicherheit bei Mädchen nicht gut ankommt, Pickel den Teint verderben und überhaupt die Welt nicht so toll ist, wie das Werbefernsehen sie als normal darstellt.
Hier können Spiele, die in künstliche Wirklichkeiten entführen, eine fatale Rolle entwickeln, weil sie der Isolierung Vorschub leisten können und dem Spieler eben nicht helfen seine persönlichen sozialen Fähigkeiten zu schulen. "Können", weil die Menschen sehr verschieden sind und der eine sich nach einer kurzen Zeit des intensiven Spielens wieder der Wirklichkeit zuwendet und andere an solchen Spielen hängen bleiben, wie andere Leute an einem Sport oder einem Hobby.
Wie gut jemand die Spielerei verkraftet, hängt einmal von seiner Persönlichkeit und seinen Lebensumständen ab (man spricht auch von Resilienz) und zum anderen von der Art der Spiele, die jemand spielt. Wer bloß mit Hilfe des Rechners Patiencen legt, der vertut zwar sicherlich viel Zeit, aber außer den Spielregeln lernt er oder sie eher wenig. Wer jedoch in einer Scheinwirklichkeit sich selbst als Helden, oder als Machthabenden erlebt, der kann dadurch in eine Krise geraten, weil das Erleben im Spiel und das Erleben im Alltag nicht zusammen passen.
Gewalttätige Spiele?
Einige fragwürdige Spiele werden vom Militär dazu eingesetzt, um Soldaten auf den Ernstfall vorzubereiten und sie gegenüber Gefühlen unempfindlicher zu machen, damit sie im Kampf besser reagieren. Dass das funktioniert - das Mitempfinden abzutrainieren - ist belegt. Über die Spätfolgen wissen wir wenig, aber bei immer mehr Soldaten findet man nach belastenden Einsätzen psychische Störungen, die wohl auf psychische Verletzungen zurück zu führen sind. Das manche Soldaten sich im normalen zivilen Leben nicht mehr zurecht finden, ist eine Jahrhunderte alte Erfahrung.
Derartige Spiele leugnen die Werte, die in der Gesellschaft und im Alltag gelten (Hilfsbereitschaft, Mitgefühl, Rücksicht auf Schwächere, im Zweifel für den Angeklagten), sie erziehen folglich die Soldaten zu einem in der Gesellschaft unerwünschtem Verhalten. Trotzdem scheuen sich die Spiele-Hersteller nicht solche Spiele auch in leicht abgewandelter Form auf den Markt zu bringen. Ob und was sie da anrichten, ist noch nicht absehbar, eben weil dergleichen aufwändige Scheinwelten erst seit wenigen Jahren, vielleicht ein bis zwei Jahrzehnten auf den Rechnern zuhause laufen. Wenn man sich die Spielerszene anschaut, dann ist der Anteil der männlichen Spieler sehr viel größer, als der der Frauen. Vielleicht, weil Frauen sich mehr auf ihre Gefühle einlassen? Oder weil Frauen mehr ihren Gefühlen trauen? Oder liegt es daran, dass Männer oft meinen, sie müssten sich selbst und anderen etwas beweisen und daher auch törichte und gefährliche Mutproben wagen? Es sind viele Gründe denkbar.
Als sicher kann gelten, dass man durch entsprechende Spiele seine Hemmungen gegenüber Gewalt verringern und seine Bereitschaft zu unsozialem Verhalten steigern kann. Man lernt eben mit den falschen, mit perversen Spielen auch falsche Verhaltensmuster und gewöhnt sich an perverse (ver-rückte) Einstellungen. Das muss nicht - wie manchmal vereinfachend behauptet wird - zu Amokläufen führen, aber dass man bei mehreren Tätern ähnliche Spiele auf den Rechnern fand, sollte nachdenklich machen. Die Spiele dürften die Taten nicht ausgelöst haben, aber sie könnten die Persönlichkeit des Täters mit in jene Richtung verändert haben, die solche Taten überhaupt erst ermöglicht.
Man kann die Ähnlichkeit einiger Amokläufe mit bestimmten Spielen nicht übersehen: So wie es im Spiel darum geht sich zum Herrn über Leben und Tod aufzuschwingen, sich auf Kosten Anderer durchzusetzen, zu siegen, so kann man einen Amoklauf, vor allem in der Schule durchaus auch als eine Machtdemonstration eines Menschen verstehen, dem es im Alltag nicht gelang die Achtung seiner Mitmenschen zu erwerben.
Computerspiele haben die Eigenschaft, dass sie die Spielenden fesseln und zum weiterspielen anregen. Computer selbst sind samt ihren Programmen so ausgelegt, dass man versucht Aufgaben zu erledigen und abzuschließen. Viele Spiele sind so gestaltet, dass sich am Ende eines Spieles, einer Aufgabe, sofort die nächste Aufgabe, der nächste „Level“ öffnet und so mit dazu beiträgt, dass man gleich weiter machen möchte. Das ist bei harmlosen Spielen, wie etwa Patiencen ähnlich, wie bei fragwürdigen Spielen. Es führt aber sehr wahrscheinlich dazu, dass auch die Spieler von Spielen, die unsoziale Verhaltensmuster (Rücksichtslosigkeit, Verletzen, Töten) propagieren diesen Einflüssen über längere Zeit ausgesetzt sind. Das bedeutet auch, dass die Wirkung der Spiele stärker ist, als wenn sie nur kurz gespielt werden würden.
Es gab vor vielen Jahren ein Experiment, bei dem man Studierenden gratis über einen längeren Zeitraum Zeitungen zusandte. Sie waren nicht verpflichtet diese Zeitungen zu lesen. Dennoch fand man am Ende des Untersuchungszeitraumes, dass sich die Weltanschauung der Studenten in Richtung derjenigen Zeitung verändert hatte, die sie zugesandt bekamen (also eher konservativer oder eher progressiver).
Es ist daher anzunehmen, dass auch die Beschäftigung mit Spielen, die antisoziale Inhalte haben, die sozialen Fähigkeiten der Spielenden nicht zum Besseren beeinflusst. Daran ändert auch nichts, dass man weiß, dass das nur ein Spiel ist. Man muss ja, um ein Spiel zu genießen, ganz in dessen Scheinwelt eintauchen. Nur dann packt es einen wirklich. Deshalb hören ja kleine Kinder oftmals gar nicht, wenn sie gerufen werden, denn sie sind so in das Spiel vertieft, dass sie die restliche Welt um sich herum vergessen. Gerade, weil man im Spiel so stark in eine Situation eintaucht, ist Spielen die wirkungsvollste Form des Lernens. Die Studierenden damals waren sicherlich auch fähig zu erkennen, dass jede Zeitung eine Tendenz hat und einige eher konservativ und andere eher progressiv sind.
Mediales Echo
Auffallend ist, dass in vielen Medien Spiele mit fragwürdigen Inhalten von Autoren, die sich selbst als Spielende zu erkennen geben, also parteiisch sind, verteidigt werden. Nach dem Münchner Amoklauf fanden sich solche Texte zum Beispiel in Süddeutscher Zeitung, im Spiegel und in der Zeit. Alle Autoren mahnen man solle jetzt nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, die Spiele sollten nicht als „Killerspiele“, oder als „Ballerspiele“ diffamiert werden und es gelte nun ruhig Blut zu bewahren und die Debatte um das Verbot solcher Spiele nicht wieder aufzunehmen. Es klingt immer ein wenig so, als fürchteten die Autoren, dass man ihnen ihre Lieblingsspiele wegnehmen könnte. Nur ist Journalismus, der bewusst, oder unbewusst eigene Interessen vertritt, kein Ruhmesblatt.
Das Ganze erinnert an die langjährigen Bemühungen der Tabakkonzerne die Gefahren des Rauchens zu zu verhamlosen.
Im Herbst 2008 fand eine internationale Fachtagung über „Bindung Angst und Aggression“ an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität statt. Lutz Besser aus Isernhagen ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, auch für Kinder und Jugendliche, sowie für psychotherapeutische Medizin und leitet das Fortbildungs-Zentrum für Psychotraumatologie und Traumatherapie in Niedersachen. Besser beschäftigt sich also mit den seelischen Verletzungen, die Menschen, vor allem Kinder (weil sie noch empfindlicher sind) erleiden.  Er führte seinen Fachkollegen, die aus ihrer täglichen Arbeit ja durchaus Einblicke in die Abgründe der menschlichen Seele haben, einige Minuten lang Ausschnitte aus fragwürdigen Spielen vor. Nach etwas 2-3 Minuten ertönten die ersten Rufe „das langt, das genügt!“ Wenige Minuten später verließen die ersten Fachleute den Saal. Ursprünglich war geplant gewesen bei einigen auch die Veränderungen im Blut zu messen, aber das scheiterte am dafür nötigen Aufwand. Aber es sollte zu denken geben, dass allein das Betrachten von Videoszenen aus Spielen die Zusammensetzung des Blutes verändern kann.
Ob derartige Veränderungen im Blut etwas Ähnliches auslösen, wie bei Langläufern, die von einem Hochgefühl berichten, das sie gerne immer wieder erleben, ist meines Wissens noch nicht untersucht. So könnte eine Art von Sucht entstehen, die ein Therapeut bei einem Jungen erlebte, der einerseits von derartigen Spielen fasziniert war, aber andererseits große Angst hatte selbst zum Amokläufer zu werden.
Bilder wirken
Was ebenfalls noch nicht klar ist, sind die Langzeitwirkungen der zum Teil grässlichen Bilder. Das Bilder Wirkungen auslösen, kann man nicht nur daran erkennen, dass sie in manchen Kulturen verboten sind, sondern auch daran, dass Bilder in Therapien eingesetzt werden. Wenn Mütter früher bei schrecklichen Ereignissen das Gesicht ihres Kindes in der Schürze bargen, so dass es das Schreckliche nicht sehen musste, dann war das eine richtige, vermutlich instinktive Schutzmaßnahme für die viel empfindlichere kindliche Seele. Lutz Besser hat immer wieder mit Kindern und Jugendlichen zu tun, die etwas Schreckliches nicht verkraften, wobei das auch Bilder aus Medien sind.
Es gibt viele Menschen, die ihr Leben lang unter schrecklichen Bildern gelitten haben. Seien es Kriegsteilnehmer, seien es Menschen, die sich Horrorfilme anschauten. Wenn derartige Bilder immer wieder im Kopf auftauchen, kann das ein Hinweis darauf sein, dass der Mensch die durch die Bilder erzeugten seelischen Verletzungen noch nicht verarbeiten konnte und therapeutische Hilfe braucht.
Dass Schreckliches eine gewisse Faszination hat ist längst bekannt. Früher strömten die Leute auch bei uns zu Hinrichtungen, und Krimis ohne Tote sind selten. Goethe meinte, der Schauder gehöre zu den wertvollen Fähigkeiten des Menschen. Gemeint ist wohl, dass der Mensch fähig ist Dramatik und Tragödie von falschem Handeln zu empfinden, darunter zu leiden, aber eben auch aus dem abschreckenden Beispiel zu lernen, wie man sein Leben richtig ( das bedeutet so, dass die Gemeinschaft damit leben kann) führen sollte.
Die Fähigkeit zum Mitempfinden (Empathie) ist Voraussetzung um zu lernen, weil das meiste Lernen im Kontakt mit Vorbildern geschieht (etwa wenn Kinder „Vater-Mutter-Kind“ spielen, orientieren sie sich an ihren Eltern).
Später in der Schule ahmt man in vielen Fällen nach, was die Lehrenden vormachen. Ist die Fähigkeit Andere mit samt ihren Gefühlen wahrzunehmen gefährdet, dann klappt das Lernen schlechter oder gar nicht. Man fand bei Gewalttätern, dass sie das ängstliche Gesicht des Gegenübers für ein aggressives Gesicht hielten und daher meinten, sie müssten sich verteidigen. Kurz ein gestörtes Mitempfinden kann für die Betroffenen und ihre Umwelt schwere Nachteile mit sich bringen. Es sieht so aus, als ob viele Verhaltensweisen, die man als asozial bezeichnet, auf Unfähigkeit zum Mitempfinden beruhen könnten.
Mitempfinden braucht Bindung
Die Fähigkeit zum Mitempfinden wird in früher Kindheit durch die Bindung zwischen Eltern und Kind angelegt. Dieses innige mit den Eltern Verbunden-sein, gibt dem Kind sozusagen seelischen Halt. Je besser die Bindung, desto besser das Mitempfinden und damit auch die Fähigkeit zu lernen und andere Menschen zu verstehen. Ein Mangel an Bindung kann asozial machen.
Insofern ist es bedenklich, dass heute viele Säuglinge von der Mutter allein, oder gar in einer Tagesstätte betreut werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Mutter überfordert wird und die Tagesstätte nicht das eigentlich nötige Personal bekommt ist groß. Leider auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich das kleine Kind nicht so gut entwickelt, wie man es ihm wünschen würde. Satt und sauber ist es vielleicht, aber seelische Mängel zeigen sich oft erst später.
Die früher übliche Großfamilie konnte die Lasten, auch wenn ein Kind ohne Vater aufwuchs, zumindest auf mehrere Schultern verteilen und dem Kind mehrere Rollenmodelle zur Nachahmung anbieten. Ideal wäre, wenn jedes Kind mit liebevollen und Bindungs-fähigen Eltern aufwachsen könnte, um das Gefühlsleben, das Mitempfinden und damit auch die Fähigkeit zu lernen gut zu entwickeln.
Wenn man diese, hier nur skizzierten, Zusammenhänge im Kopf hat, dann wird verständlich, dass Spiele, die so wichtige menschliche Fähigkeiten wie Mitempfinden in Frage stellen oder gar abtrainieren, nicht nur Wirkungen auf die Spieler selbst haben, sondern auch deren Umgebung und vielleicht sogar deren Kinder und Kindeskinder beeinträchtigen können.
Selbst wer perverse Spiele nur eine Weile spielt und sich dann wieder mit Spielen beschäftigt, die Werte vermitteln, die in der Gesellschaft wichtig und angesehen sind, der hat dennoch seine sozialen Fähigkeiten weniger geübt, als ein Mensch, der um Spiele mit fragwürdigem Inhalt einen Bogen gemacht hat. Vielleicht ahnen das die Autoren, die die Spiele verteidigen, wollen es sich aber nicht eingestehen? Oder kennen sie einfach die Zusammenhänge nicht?
Das Bild oben zeigt typisches Jungen-Spielzeug, das ein Vater noch vor gut 30 Jahren selbst bastelte.
 
 
Carl-Josef Kutzbach
Mittwoch, 27. Juli 2016