Moderne Gladiatoren
Profi-Fußball und Weltmeisterschaft
 
Fußballweltmeisterschaft. Als ausgerechnet ein Stürmer, der bei einem englischen Fußballklub spielt, jene Tore gegen die englische Mannschaft schießt, die zu deren Ausscheiden führen, hätte jedem klar sein können, dass hier längst keine nationalen Mannschaften gegeneinander antreten, die vielleicht etwas über die Fußballerischen Fähigkeiten eines Landes aussagen, sondern Mannschaften von bezahlten Profis, die wie Söldner für die spielen, die Ihnen Geld bieten.
Die Ähnlichkeit zu den Gladiatoren-Wettkämpfen der Römer zur Unterhaltung und Befriedigung (Befriedung) der Massen, liegt nahe. Ob damals die Eintrittskarten auch so teuer waren? Mit Sicherheit wurden sie nicht in Sekunden übers Internet verkauft. Aber anzunehmen ist, dass auch damals die kleineren Leute wenig Chancen hatten zuzuschauen, weil sie arbeiten mussten und eine Karte für sie erhebliche Opfer bedeutet hätte. Kein Wunder, wenn heute im Publikum viele sitzen, die zumindest so wohlhabend sind, dass sie sich Anreise und Eintrittskarte leisten können. Immer mehr Zuschauer sind auch in der Lage teure Fan-Artikel, Schminke und ausgefallene Verkleidungen zu kaufen. Das Publikum in einem WM-Stadion sind eben nicht die kleinen Leute, sondern Wohlhabende, sowie Funktionäre und Staatsmänner und -frauen, die brav bei diesem Theater mitspielen.
Immerhin bietet das Übertragen der Spiele im Fernsehen die Möglichkeit die nationalen „Massen” auf Plätzen, in Lokalen und daheim teilnehmen zu lassen. Also werden viel mehr Menschen erreicht, als zu Zeiten der Römer.
Allerdings bestimmt die FIFA, was der Zuschauer zu sehen bekommt, denn entsprechende Verträge mit den Regisseuren legen fest, was gesendet werden darf und was nicht. Zum Beispiel sind Personen, die es schaffen sich unbefugt aufs Spielfeld zu begeben nach Möglichkeit nicht zu zeigen. Man will keine Nachahmer, aber man will zugleich auch perfekte Spiele zeigen. Ob das mit den Statuten der öffentlich rechtlichen Sender vereinbar ist, die die Spiele in vielen Ländern übertragen? Journalistisch ist es jedenfalls fragwürdig, wenn eine geschönte Fassung des Geschehens gezeigt wird.
Die FIFA als großer Konzern, und die Politiker der vielen beteiligten Länder haben gemeinsame Interessen: Geld verdienen, sowie Ablenkung der Massen vom politischen Alltag. Ist es Zufall, wenn in den Parlamenten während der WM kritische und fragwürdige Gesetze durchgebracht werden? Ist das wirklich nur ein zeitliches Zusammentreffen, weil beides vor den Sommerferien stattfindet? Oder wird das gezielt genutzt, z. B. früher für die Mehrwertsteuererhöhung, Meldegesetze, die dem Staat Adresshandel  mit den Daten der Bürger erlauben, sowie heute eine Rolle rückwärts beim Gesetz zu Erneuerbaren Energien, zum umstrittenen Fracking, oder der Anschaffung von bewaffenbaren Drohnen nur im Deutschen Bundestag?
Auch wenn die Brüder Boateng gegeneinander für verschiedene Länder antreten, wird deutlich, dass die nationalen Symbole nur noch Schau sind, aber keine wirkliche Bedeutung mehr haben. Dass sie dennoch so wichtig genommen werden, weist darauf hin, dass die Menschen eine Sehnsucht nach etwas haben, zu dem sie sich zugehörig fühlen können. Diese Sehnsucht wird ausgenutzt um Geschäfte mit nationalen Gefühlen zu machen, ja solche zu wecken. Da verdienen Fähnchenfabrikanten, Kneipen, Fernsehgeräte-Hersteller, Werbeagenturen und deren Zulieferer, die FIFA, sowie die Fußballprofis an einem Wettbewerb, der Spannung, Aufregung, Gemeinschaftsgefühle bedient, auch, wenn alle Akteure dafür bezahlt werden, dass sie eine gute Schau abliefern.
Es wäre ein spannendes Experiment, wenn man denselben Zirkus nach einer vorher exakt geplanten Choreografie ablaufen ließe, bei der die Siege per Zufall ausgelost, oder für viel Geld gekauft werden könnten. Solange die Zuschauer es nicht wüssten, dürfte es für sie kaum einen Unterschied machen. D.h. der Glaube daran, dass bei so einer Weltmeisterschaft vor allem über den Sieg entscheide, wer am besten Fußball spielen kann und nicht etwa das Glück, oder das Geld, allein dieser Glaube fördert die Gefühle und Hoffnungen, führt zu Jubel und Verdruss.
Da Fußball aber mathematisch betrachtet ein Glücksspiel ist, also so viele Variablen enthält, dass keine exakte Vorhersage möglich ist, klammert man sich im Grunde an eine Illusion, eben, dass das Können entscheidet. Damit werden dann auch nationale Tendenzen, oder gegenseitige Vorurteile bedient. Da aber – wie beschrieben – die Nationalmannschaften längst nicht mehr viel mit den Herkunftsländern der Spieler, oder der jeweiligen Nation zu tun haben, ist das Ganze ein riesiger Selbstbetrug, an dem einige prächtig verdienen, während andere (zum Beispiel bei den Bauarbeiten in Katar) darunter leiden, ja ihr Leben dabei verlieren. Da geht dann das Geschäft, mit dem Fußball, oder das politische Prestige über Leichen. Kein Wunder wenn Nachdenkliche schon länger Reformen anmahnen, sich aber die Profiteure dagegen sträuben.
Die Spieler selbst spuken, rotzen ins Hemd, hauen einander von den Füßen, halten einander fest, springen sich gegenseitig an, schubsen sich aus dem Weg, raufen sich um einen Ball, werfen Flaschen weg, duschen sich mit Getränken und bekommen für dieses schlechte Vorbild sehr viel Geld, mehr als mancher Zuschauer vor dem Fernseher im ganzen Leben verdient. Wofür?
  1. Für die Ballbeherrschung? Da können viele Jongleure mehr.
  2. Für die Ausdauer zweimal 45 oder auch 60 Minuten volle Leistung zu bringen? Mancher Arbeiter oder Angestellte tut das 8 Stunden lang.
  3. Dafür dass die Fernsehkameras ihr Bild in die Welt tragen, auch in unangenehmen Minuten? Überwachungskameras filmen ohne Honorar für die gefilmten.
  4. Dafür dass sie wandelnde Werbeträger sind? Viele Leute, die Markenkleidung tragen, tun das unentgeltlich, ja manche sogar freiwillig.
Vielleicht ist ihnen egal, wie sie aussehen, Hauptsache sie fallen auf, sei es durch Tätowierungen, durch ausgefallene Frisuren, oder Bärte. Manche tragen zwei verschieden farbige Schuhe. Und Jugendliche ahmen all das nach, weil sie meinen ein richtiger Mann müsse sich so verhalten, spuken, rotzen, rempeln und andere Regeln des gepflegten Zusammenlebens missachten.
Wenn der Kommentator unfaires Verhalten als "Taktisches Foul" und damit für akzeptabel erklärt, oder der Sprung in den Rücken eines Mitspielers, dessen Wirbel dabei zerbrach, vom Schiedsrichter in keiner Weise geahndet wird, dann braucht man sich nicht wundern, wenn Regelverstöße als Selbstverständlichkeit und Fairness als etwas für Dumme (Anständige foglich als Dumme) betrachtet werden. Der Sieg rechtfertigt die Mittel?
Die Weltmeisterschaft zeigt ein fragwürdiges Bild, in der die Wirtschaft den Sport dominiert und sich ihr auch die Staaten unterordnen. Zugleich werden Gladiatoren vorgeführt, die ein Verhalten zeigen dürfen, dass man sich im Zusammenleben mit anderen Menschen nicht wünscht. Der Regelverstoß wird als taktisches Mittel ebenso eingesetzt, wie die Körperverletzung. China z.B. trieb und treibt viel Aufwand um das Ausspucken einzudämmen.
Die abgelesenen Reden gegen Rassismus und die Werbespots für Fairness im Sport (und sonst nicht?) zeigen, dass man die Geister, die man rief, nun mit Mühe in Schach zu halten versucht.
 
Das Bild oben zeigt, welche unnatürliche künstliche Welt die Fernsehbilder in die gewohnte Welt der Zuschauer bringen. Eskapismus?
 
 
Carl-Josef Kutzbach
Sonntag, 22. Juni 2014