Komplize wider Willen
Ein Jahr Fabrikeinsturz in Bangladesh
 
 
   Am 24. April 2013 stürzte eine mehrstöckige Fabrik in Bangladesh ein, wobei rund 1100 Menschen starben und um 2500 verletzt wurden. Damit wurde vielen Mitmenschen wohl erstmals deutlich, dass unsere billige Kleidung und unser Wohlstand durch Ausbeutung und lebensgefährliche Arbeitsbedingungen anderswo erkauft werden. Die hässliche Fratze der Globalisierung aus Gründen des Profits wurde sichtbar.
   Dass es nur ums Geld geht, die Wirtschaft also den Menschen nicht mehr dient, kann man auch daran erkennen, dass kurz vor dem Einsturz ein Bauingenieur warnte, das Gebäude sei einsturzgefährdet, und die Näherinnen trotzdem gezwungen wurden, zur Arbeit hinein zu gehen. Das ist Kapitalismus, der über Leichen geht.
   Was mich dabei besonders wütend macht ist, dass ich als Kunde nicht erfahre, wo die Ware hergestellt wird, also wider Willen zum Komplizen von solchen mörderischen (Tötung aus niedrigen Beweggründen) Geschäftemachern werde. Es gibt angesehene Firmen, die auch in Fernost produzieren lassen, aber dann in Deutschland Knöpfe, Etikett oder sonst etwas daran verändern und das Ganze dann als „Made in Germany ”. Auch die gesetzliche Herkunftskennzeichnung betrügt also teilweise die Kunden.
   Dass man auch sonst als Kunde oft herein gelegt wird, zeigt das Bild oben. Zwei scheinbar gleiche Cordhosen von C&A. Eine wurde im Winter 2012/13 gekauft, die andere im Jahr zuvor. Der Preis war gleich, so dass der Kunde von gleicher Ware und gleicher Qualität ausgehen konnte. Doch nach dem ersten Waschen zeigte sich dass die Qualität der später gekauften Hose durch die Appretur vorgespiegelt worden war. Es handelte sich um eine schlechtere Cord-Qualität und schlechtere Verarbeitung.
 
Der Saum am Beinende ging nach dem Waschen auf. Vermutlich war der Faden nicht sauber vernäht.
   Wenn man weiß, dass die Näherinnen nur etwa 1% des Verkaufspreises erhalten, also bei einer Hose für 50 Euro nur 50 Cent und obendrein unter hohem Druck bis zu 12 Stunden arbeiten müssen, ist das nicht verwunderlich. Es war mir ein Vergnügen die Hose zur Reparatur in die hiesige Filiale zu bringen, denn die Näherin hier ist erheblich teurer.
   Im Winter 2013/14 betrat ich wieder C&A (die Firma hat im Laufe ihrer Geschichte ja durchaus Gutes für die kleinen Leute geleistet, auch, wenn böse Zungen behaupten, das Kürzel stünde für ‚cheap and ugly’ also ‚billig und hässlich’.) Mein Blick fiel auf Hosen und Pullover für 9 Euro als Schnäppchen. Prompt fielen mir die toten und verletzten Näherinnen ein und ich verließ den Laden sofort wieder, ohne etwas zu kaufen. Wobei ich nicht weiß, ob C&A in Ostasien fertigen lässt, oder in Afrika und wie die Arbeitsbedingungen sind, denn das erfahre ich als Kunde ja gar nicht. Aber ich werde wider Willen zum Komplizen bei der Ausbeutung und Gesundheitsgefährdung von Menschen gemacht, die ich nicht kenne, die mir auch nichts Böses getan haben. Und das nehme ich solchen Geschäftemachern übel.
Ein Poloshirt für 4,50 Euro (C&A) passt nicht mit anständigen Arbeitsbedingungen und gerechten Löhnen zusammen.
   Ein anderes Beispiel, wie mit Kunden umgegangen wird: Beim Maßanfertiger Dolzer stieg der Preis für eine Hose innerhalb von etwa 10 Jahren auf das Doppelte, obwohl die Produktion aus Deutschland fort verlegt worden war. Löhne und Gehälter der Kunden stiegen in diesen zehn Jahren aber kaum. Das passt gleich zweimal nicht zusammen:
  1. 1. kann sich der Kunde dann eben nur halb so viele Hosen leisten, was sich bei der Firma auf den Umsatz auswirken dürfte.
  2. 2.wären bei einer Fertigung in Deutschland die Lohnkosten nicht so gestiegen.
Also womit wird der verdoppelte Preis gerechtfertigt?
   Jetzt, zum Jahrestag des Fabrikeinsturzes kam heraus, dass die von den Firmen versprochenen 40 Millionen Hilfszahlungen an Hinterbliebene und Geschädigte erst 11 Millionen bezahlt haben. So lange möchte ich mir beim Bezahlen auch mal Zeit lassen dürfen!
   Von den Billiganbietern, die man wohl kaum mit Begriffen wie Redlichkeit, Faire Arbeitsbedingungen, Qualität oder Kundendienst in Beziehung setzen muss, sie hier gar nicht die Rede. Sie sind es nicht wert. Dass sie hohe Umsätze machen, weil immer mehr Menschen in Armut abrutschen, oder abzurutschen fürchten, zeigt nur, dass auch die Politik ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat.
   Aber was soll man als Kunde machen?
  1. Man erfährt nicht, woher die Kleidung kommt.
  2. Man erfährt nicht, wie sie produziert wurde.
  3. Man kann immer schlechter erkennen, welche Qualität der Stoff hat, weil das z.B. durch Appretur verschleiert wird.
  4. Man oft auch nicht mehr die nötigen Kenntnisse hat, weil man selbst nie nähen, schneidern gelernt hat.
  5. Man die verschiedenen Siegel und deren Bedeutung kaum kennt (z.B. Ökotex 100)
  6. Das Angebot an Biokleidungsstücken gering ist und auch da wird gemogelt.
Alles in Ordnung, weil Bio?
Nein, der Kunde bekommt Kunstfaser untergejubelt!
  1. Noch geringer ist das Angebot an fair produzierten und ökologisch einwandfreien Produkten.
(Die sinkende Haltbarkeit von Schuhen haben ich ja bereits 2008 kritisiert.)
   Was denken sich eigentlich Handel und Hersteller für wen sie da sind? Für die Kunden und für die Mitarbeiter, oder für Banken und Investoren? Was glauben sie, wie lange man Kunden an der Nase herum führen kann, bis die das merken und sich verärgert abwenden? Oder vielleicht noch schlimmer Gleiches mit Gleichem vergelten und Ware stehlen?
   Und was kann man als Kunde machen?
   Selbst wer schneidern kann, ist noch nicht sicher, dass die Rohmaterialien unter ökologischen und sozialen Bedingungen erzeugt wurden, mit denen man kein schlechtes Gewissen zu haben braucht.
    Augen zu und durch? Also einfach das Billigste kaufen und das recht bald immer wieder, weil die Qualität der Ware immer schlechter wird? ein schlechtes Geschäft, bei dem man viel zu viel bezahlt und obendrein keine Ware bekommt, in der man sich wohl fühlen kann.
   Nur noch Teures kaufen, bei renommierten Marken und Händlern? Auch das schützt nicht vor Kleidung, die unter umweltschädlichen und unmenschlichen Bedingungen erzeugt wurde und sagt auch nichts über die Haltbarkeit aus.
   Alte Sachen so lange tragen, bis es nicht mehr geht und bis sich die Firmen vielleicht eines Besseren besinnen? Dann fühlt man sich weniger wohl und läuft am Ende herum, wie ein Mensch ohne Zuhause, mit geflickten Sachen und wird entsprechend behandelt. Also auch keine Lösung.
   Eine wirklich befriedigende Lösung, die man sofort umsetzen könnte, sehe ich nicht.
   Man kann versuchen sich so gut wie möglich zu informieren, man kann Produkte aus fairem Handel und mit ökologischen Siegeln bevorzugen. Und man kann natürlich beim Einkauf danach fragen. Genauso kann man beim Einkauf auf Mängel hinweisen und Preisnachlass, Nachbesserung oder Reparatur verlangen. Aber bitte freundlich. Die Verkäuferinnen sind in den seltensten Fällen Verursacher der Misere. Und manche gut ausgebildete Fachverkäuferin rät einem auch schon mal ab dies oder das zu kaufen.
  Man kann Läden bevorzugen, die noch gut ausgebildetes Personal haben und den dafür nötigen höheren preis bezahlen. Das Geld bleibt wenigstens zum Teil bei den Mitarbeitern im Lande. Und man kann die Firmen und deren Leitung immer wieder belästigen, piesacken, anprangern. Etwas Besseres haben sie nicht verdient, weil sie den Kunden wider Willen zum Komplizen bei globaler Ausbeutung gemacht haben!
 
Haben Sie erraten, welche der Hosen oben im Bild die ein Jahr jüngere ist? Es ist die dunkelbraune mit den ausgebeulten Knien und dem abgeschabten Cord. Sie sah bereits nach ungefähr drei Monaten so schäbig aus, dass ich sie nur ungern trage. Außerdem lief der Stoff mehr ein, als bei der älteren helleren Hose, so dass die Beine etwas zu kurz wurden.
 
 
Carl-Josef Kutzbach
Donnerstag, 24. April 2014