Franziscus Antonius Stahl wird geboren Anfang Juli 1728 auf dem Hohenbergehof bei Bopfingen, Taufe am 11.7.1728 in Unterifingen. Die Eltern waren Michael und Katharina Stahl. Diese Gegend heißt "Härtsfeld", was von "Hartes Feld" abgeleitet ist und auf die schlechte Bodenqualität hinweist, aber auch auf die Armut der dort ansässigen Bauern, bei denen das Ehepaar Unterschlupf gefunden hatte.
1730 begannen die Eltern am Schlossberg in Flochberg, heute ein Teil von Bopfingen, mit dem Bau eines kleinen Hauses aus Steinen der Ruine des Schlosses Flochberg, so wie aus dem Holz vom Hang darunter. Das weist darauf hin, dass sie zu diesem Zeitpunkt als redlich galten und über eine gewisse Barschaft verfügt haben müssen. Michael arbeitete wohl als Tagelöhner und Freimann, also eine Art Wanderarbeiter. Dass sie dort siedeln durften, bedeutet wohl auch, dass sie einen gewissen Schutz des Landesherren besaßen.
Nach 3 Jahren 1733 wurden erstmals Steuern fällig
1738 wurde der Bruder Johannes geboren
1740 die Schwester Ursula.
Offenbar wurde es immer schwieriger die Familie zu ernähren, denn 1748 werden die Eltern wegen Diebstahls verhaftet. Die Mutter stirbt noch vor dem Prozess in der Haft, der Vater flieht, stirbt aber auch bald in der Fremde. Seltsamerweise dürfen die Kinder das Haus behalten. Franz Antoni Stahl, wie er jetzt genannt wird, ist bereits verheiratet. Seine Frau stirbt im Kindbett. Seine Ehe könnte bedeuten, dass er mit Einwilligung des Herrschers heiraten durfte, oder aber in einem Nachbarlande illegal geheiratet hat.
Württemberg, aber auch das ganze Reich, war damals ein Flickenteppich aus zumeist Klein- und Kleinststaaten. Viele absolutistisch gesonnene Fürsten achteten dennoch streng darauf, dass in ihrem Reich auch ihre Gesetze befolgt wurden.
Es ist nicht klar, ob der Verlust von Frau und Kind Franz Antoni schwer traf, oder nicht. Jedenfalls verkaufte er das Elternhaus später für 100 Gulden an einen Verwandten (den Mann der Stieftochter), der den Wert des Hauses schon 8 Jahre später mit 700 Gulden angab. Angeblich hatte er Franz Antoni Stahl betrunken gemacht, um das Haus billig zu erwerben. Man fragt sich, woher er das Kapital hatte.
Franz Antoni blieb in Wallerstein, also im Nördlinger Ries. Er arbeitete als Tagelöhner, vermutlich bei Bauern Tiere hütend, oder als Knecht im Wirtshaus und später als Handlanger der Salzsieder in Schwäbisch Hall, im Steinbruch und beim Rohbau des neuen Stuttgarter Schlosses (1746-1756). Sein Bruder Johannes dürfte als Abdecker gearbeitet haben, da er den Spitznamen "Schinderhannes" trug.
Am 17. Juli 1752 schließt Franz die 2. Ehe mit Katharina "Demuth", genannt Sinsheimer. Da kein Eintrag ins Kirchenbuch erfolgte, ist wohl fraglich, ob es eine im rechtlichen Sinne eine gültige Ehe war. Vielleicht hat der Brautvater das "Ehezeugnis" schlicht gefälscht, denn auch die Vaganten wussten, dass sie eher und mehr Gaben erhielten, wenn sie als unschuldig Verarmte, aber Gottes- und Gesetzes-Fürchtige auftraten.
Katharinas Vater war angeblich Sohn eines Frankfurter Juden und hatte neben seinem Vorzeigeberuf, dem Fellhandel, Falschmünzerei und Urkundenfälschung als vermutlich wesentlich einträglichere Hauptberufe. Gefälschte Papiere waren für viele Wanderarbeiter, aber natürlich auch für Betrüger und Gauner in der Zeit der Kleinstaaterei sehr nützlich, da die Fürsten versuchten durch Pässe die Fahrenden unter Kontrolle zu bringen. Demuth war ein krimineller Profi, dem es zweitweise auch recht gut ging.
Schon wenig später am 29.8.1752 wird Franz bei Neresheim in einen Streit mit einem Papiermachergesellen verwickelt und an der Hand verletzt. Er könnte zuvor auch an einem Postkutschenraub in Dischingen beteiligt gewesen sein. Am 13. September 1752 wirft er in Bopfingen verhaftet. Am 8. Februar 1753 ist der Prozess, bei dem er überraschenderweise ohne Strafe entlassen wird.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt war Franz Antoni nicht mehr der arme Tagelöhner, sondern ein Dieb. Diese kriminelle Karriere (vom Taglöhner über den Bettler zum aggressiven Bettler und weiter zum Dieb und gewalttätigen Räuber), ist aufgrund der damaligen Umstände nicht weiter verwunderlich, denn Angehörige der so genannten unehrlichen Berufe hatten kaum eine Chance ihren Lebensunterhalt dauerhaft redlich zu verdienen.
Bereits Ostern 1753 wird er samt Katharina wegen Diebstahls aufgegriffen und Anfang Mai ausgepeitscht. Da sie hochschwanger ist, findet keine Züchtigung statt. Sie werden aber ausgewiesen. Es war damals üblich, dass Missetäter das Land verlassen mussten, was dazu führte, dass jeder Fürst seine Nachbarn mit Missetätern „beglückte“, das Übel aber nicht an der Wurzel anpackte. Also nahm mit wachsender Not die Zahl der Vaganten zu, zu denen auch ehemalige Soldaten stießen, die ebenfalls kaum eine Chance hatten in ein "normales" Leben zurück zu kehren.
1756 gibt es Spuren von Franz im Altmühltal und bei Wiesensteig. Allem Anschein nach hatte er sich von Katharina und den Kindern getrennt, sei es, um sie nicht zu gefährden, sei es aus anderen Gründen.
1757 und 58 scheint er mit der "Schwarzen Lies" im Oberland und am Bodensee herumgezogen zu sein. Sie war dafür bekannt, dass sie stets ihr Bettzeug (Zeichen von Wohlstand) mit sich herum trug. 1758 wird er in Biberach inhaftiert, kann aber mit ihr am 8. Mai entkommen und in der Biberacher Kirche Kirchenasyl finden, von wo aus sie mithilfe der Kapuziner entkommen. Er verlegt seine Aktivitäten in die Gegend zwischen Ansbach, Ellwangen, Main und Ries.
Im Sommer 1758 wird ein Opferstock einer Kapelle ausgeraubt. Er arbeitet jetzt häufig mit anderen Jaunern (Gaunern) zusammen. Im Januar 1759 ist er in Neuenmuhr an der Altmühl. Am 13. Juli wird in Erglertshausen eine Mühle überfallen, wobei es zum Gebrauch von Schusswaffen kommt. Das zeigt, die Not, aber auch die Bereitschaft zur Gewalt nimmt bei dem 31 jährigen zu. Ende Juli wird er gefasst und ins Gefängnis von Rothenburg (Markusturm) gebracht. Am 2. August 1759 beginnt das Gericht mit dem Verhör. Am 27. August gelingt ihm die Flucht aus dem Sankt Markusturm. In seiner Not wendet er sich an seinen Bruder Johannes, der ihn jedoch abweist.
Er beschließt sich vom österreichischen Militär in Nördlingen anwerben zu lassen, wofür ein Handgeld von mehreren Gulden spricht, sowie die Einkleidung und regelmäßige Bezahlung. Allerdings hatte er wohl von Anfang an vor zu desertieren, was aber erst 1760 kurz vor Prag gelang.
Wieder in vertrautem Gefilde zurück wird er am 5. Mai 1760 in Kirchheim im Ries gefasst und wieder nach Rothenburg überstellt. Am 5. Februar 1761 beginnt im Prozess die Tortur durch Auspeitschen. Obwohl er angekettet war, gelingt ihm am 23. April 1761 aus dem 11m hoch gelegenen Turmzimmer erneut die Flucht. Ab diesem Zeitpunkt war seine Lage ziemlich verzweifelt, denn es wurde sein Steckbrief (und eine Belohnung) für seine Ergreifung verbreitet. Er war irgend wann auch mit einem "C" auf dem Rücken "gebrandmarkt" worden, was seine Identität zusätzlich deutlich kenntlich machte.
Am 26. Januar 1762 wird er in Waldhausen bei Geislingen gefasst und nach Ulm in den Diebsturm gebracht. Obwohl er auch hier zu fliehen versucht, wird er mit knapp 34 Jahren am 23. März 1762 öffentlich hingerichtet.
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Hartwig Büsemeyer hat diese Fakten unter dem Titel „Auf der Schattenseite des Lebens – Franz Antoni Stahl" zusammen-getragen und wurde dafür 2011 vom Regierungspräsidium Freiburg mit einem der "Landespreis für Heimatforschung" ausgezeichnet.
Die Arbeit zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie die Ausweglosigkeit jener Menschen erklärt, die damals nicht zu den Besitzenden und Ehrbaren gehörten. Diese Ausweglosigkeit hat viele Gründe, angefangen von der Rechtlosigkeit, über die absolutistische Kleinstaaterei, bei der Fürsten wegen der Hofhaltung häufig in Geldnot waren und ihre Länder auspressten, bis hin zur Kirche, die gutgläubig Almosen gab, ohne zu prüfen, ob sie es mit einem wirklich Bedürftigen, oder mit einem Betrüger zu tun hatte. Aber ohne diese Almosen hätte es vermutlich noch mehr Diebe und Wegelagerer gegeben.
Vermutlich hätte bei vernünftiger Bewirtschaftung und entsprechender Sparsamkeit der Fürsten für die allermeisten Menschen eine Existenzgrundlage bestanden. Die Kleinstaaterei (vor allem in Südwestdeutschland) bot mit ihrer territorialen und damit auch rechtlichen Zersplitterung für diejenigen, die aus Not kriminell wurden, den Vorteil, dass sie schon nach wenigen Kilometern in ein anderes Land wechseln konnten und dadurch rasch vor Verfolgung sicher waren.
Hartwig Büsemeyer, der schon mit einer Arbeit über elsässische Spielleute hervortrat (Elsass-Preis der Académie d'Alsace), beschreibt anschaulich, wie die so genannten „unehrlichen“ Menschen keine Chance auf eine Berufsausbildung oder eine dauerhafte Anstellung hatten. Man kann vermutlich sagen, dass mit wachsender Not die Gesetze immer weniger beachtet wurden. So bildete sich eine Parallelgesellschaft, die sich mit eigener Sprache (Jenisch), eigenen Zeichen (Gaunerzinken) und eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit zu leben versuchte. Wobei interessant ist, dass die meisten Delinquenten vor der Hinrichtung den Trost des Theologen suchten, weil auch sie Christen waren, die auf ein besseres Leben im Paradies hofften.
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Die Arbeit ist aber auch wegen ihrer unbeabsichtigten Aktualität interessant: Gab es in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts bei uns kaum Bettler, so haben sie in den letzten Jahrzehnten zugenommen und bedienen sich, wie vor rund 300 Jahren ganz ähnlicher Tricks, um Mitleid zu erhaschen, etwa das Betteln im Rollstuhl, mit Krücken, oder durch Vorzeigen von Verletzungen und Krankheiten. Die Polizei stellt außerdem in jüngster Zeit ein starkes Anwachsen der Wohnungseinbrüche fest. Da die Beute dabei in der Regel relativ gering ist, handelt es sich bei den Tätern zumeist um wenig gebildete, arme Leute (Ausnahme Beschaffungs-Kriminalität), die aus Not stehlen, weil es ihnen auf anderem Wege nicht gelungen ist einen einträglichen Platz in der Gesellschaft zu finden. Die Analogie besteht darin, dass zunehmende Verarmung breiter Bevölkerungsschichten Bettelei und Diebstahl fördert, wobei die Verweigerung von Bildungschancen heute sicherlich geringer ist, als damals.
Die Analogie liegt auch darin, dass die Maßnahmen zur Verhinderung von Wohnsitzlosigkeit, Bildungsferne, Armut und sozialer Ausgrenzung auch heute nicht so effektiv sind, wie es wünschenswert wäre. Auch die Bildung von Parallelgesellschaften und Gettos, seien es soziale, kulturelle oder ethnische Gettos, erinnern an damals und die Gnadenhäuser am Flochberger Schlossberg, die allerdings nicht aus sozialen Gründen entstanden, sondern weil der Fürst sich davon Einnahmen erhoffte.
Die Gegenmaßnahmen ähneln teilweise denen von vor rund 300 Jahren, wenn nämlich Fremde ausgewiesen werden, sobald sie sich etwas haben zu Schulden kommen lassen, oder illegal ins Land kamen. Das Asylbewerber lange Jahre nicht arbeiten durften, also gezwungen waren der Allgemeinheit auf der Tasche zu liegen und dabei etwa vorhandene berufliche Fähigkeiten eventuell einbüßten, beruhte auf hiesigen Gesetzen und Vorschriften. Sie durften nicht arbeiten und auch nicht einen bestimmten Ort verlassen. Gerade bei denen, die mit ihrer Arbeit selbst nur wenig verdienten, musste das zu Neid und Aggressionen führen.
Ebenfalls fast nichts hat sich daran geändert, dass Menschen, die arm oder fremd sind, die unangenehmsten Arbeiten übernehmen müssen, wie Wallraff immer wieder dokumentierte. Viele damals arbeiteten mit dem Abdecker zusammen, was man an ihren Spitznamen erkennen kann, die mit „Schinder“ zusammengesetzt wurden.
Interessant ist auch die Analogie, dass Musikanten, Tänzer, Artisten, die man für die Kirchweih oder andere Feste brauchte, schlecht angesehen waren und zumeist mit sehr wenig Geld zufrieden sein mussten. Wem fällt da nicht die Lage der heutigen Künstler und die Künstlersozialkasse ein.
Noch ein Beispiel der Aktualität:
Diakoniepfarrer Martin Friz startete die erste Vesper-kirche 1995 in der Stuttgarter Leonhardskirche. Sie wird jährlich von Januar bis März vom Diakoniepfarramt und Hunderten Ehrenamtlichen aus verschiedenen Alters- und Berufsgruppen veranstaltet. Ihnen kommt es darauf an, dass die Hilfesuchenden nicht nur Essen erhalten, sondern als Menschen akzeptiert werden und Freunde finden können. Kamen am Anfang circa 70 Hilfsbedürftige pro Tag, sind es mittlerweile rund 600 (Stand: 2018), aber keine Prostituierten mehr. Sie haben keine Zeit mehr zum Essen!
Das Erschreckende an Hartwig Büsemeyers Arbeit ist, dass Staat und Gesellschaft offenbar in 300 Jahren wenig eingefallen ist, um Verhältnisse zu verhindern, die Armut und Kriminalität fördern, oder aber diese Maßnahmen nicht für dringlich halten.
Das Foto oben zeigt den Gartenflügel des Neuen Schlosses in Stuttgart, an dem Franz Antoni Stahl vermutlich als Wanderarbeiter zwischen 1746 und 1756 mit gewirkt hat. Fertig wurde das Schloss - auch wegen eines Brandes - erst 1807!