Viele Zeitgenossen beklagen, dass unsere Gesellschaft so verwirrend sei, halten sich aber selbst nicht (mehr) an (bewährte) Regeln*. Zum Beispiel die Radfahrer oben im Bild, die in dieser Einbahnstraße auf dem Gehweg fahren, obwohl sie über 12 Jahre alt sind, als auf der Straße fahren müssten. Aber dann müsste man ja einen Umweg durch die Parallelstraße machen, der diesen Freizeitradlern offenbar nicht zuzumuten ist. Sollen lieber die beiden Blinden ängstlich stehen bleiben und die Fußgänger zur Seite gehen.
Ähnlich ist es mit der radelnden Frau, die im morgendlichen Berufsverkehr auf den Gehweg ausweicht und dort Brötchenholer, Gassigeher, Schulkinder, oder Eltern, die ihre Kinder zum Kindergarten bringen, bedrängt. Sie gibt damit das Drängeln der Autofahrer an die schwächsten Verkehrsteilnehmer weiter.
Das zeigt, dass auch der vermeintlich Stärkere (dank Motor und Karosserie) mit dafür verantwortlich ist, wie es den Schwächeren ergeht. Führen alle (oder die große Mehrheit der Automobilisten) rücksichtsvoll gegenüber schwächeren und langsameren Verkehrsteilnehmern (wie es die Straßenverkehrsordnung in § 1 fordert), kämen diese nicht auf die Idee den erhaltenen Druck auf noch Schwächere weiter zu geben.
Als Kind fühlte ich mich in den 50er Jahren auf dem Gehweg sicher, weil Autofahrer fast nie (außer Garagenzufahrt) auf den Gehweg fuhren. Die klare Grenze des hohen Bordsteins wurde erst aufgeweicht, als man an bestimmten Stellen erlaubte mit zwei Rädern auf dem Gehweg zu parken. Ein weiteres Mal wurde diese Grenze geschwächt, als der Stuttgarter Gemeinderat beschloss die Bordsteine nicht mehr so hoch zu machen, was ihr Überqueren und ihre Missachtung erleichterte. Die klare Grenze wurde also auf demokratisch einwandfreie Weise beseitigt.
All das war auch eine Folge wachsenden Wohlstandes und der damit einher gehenden Verbreitung von Pkws. Seit der Parkraum auf den Straßen nicht mehr ausreicht, meinen manche, sie könnten ihr Auto abstellen, wo Platz ist, auf Gehwegen, Grünstreifen, in Zufahrten, Fußgängerzonen oder vor Garagen (die oft nicht mit Autos gefüllt sind, sondern anderen Zwecken dienen und so den Parkplatzmangel verschärfen.
Selbstverständlich führt dieses Übertreten der Regeln und Ersetzen durch Willkür zu einer neuen Unübersichtlichkeit auf den Straßen, Gehwegen, aber auch im Kopf.
*Regeln dienen der Vereinfachung, dem Schutz Schwächerer und der Klarheit. Selbstverständlich müssen sie immer wieder (meist durch die Jüngeren) in Frage gestellt werden, damit nur die Regeln Bestand haben, die für die Gesellschaft als Ganzes wertvoll und brauchbar sind.
Der Verzicht auf Regeln bedeutet, dass sich der Stärkere durchsetzt und die Schwachen auf der Strecke bleiben. Genau das erleben wir bei der Finanzkrise oder den weltweiten Abhörmaßnahmen. Einige wenige Akteure (Banken, internationale Konzerne, Spekulanten (Hoeneß) machen Gewinne auf Kosten von anderen, ärmeren Menschen und beschädigen und entmachten ganze Staaten, indem sie sich der demokratischen Kontrolle verweigern.
Im Straßenverkehr setzt sich das fort, indem durch Motorleistung, Fahrzeugbreite oder Rücksichtslosigkeit die Rechte der anderen Verkehrsteilnehmer eingeschränkt werden.