Warum scheint die Welt immer verwirrender?
Carl-Josef Kutzbach
Donnerstag, 12. Juli 2018
 
Smart-Phone, Internet, Fernsehen, Radio, Zeitschriften, Zeitungen, Briefe, so ungefähr verlief die Entwicklung, wenn man zurück schaut. Verfolgt man sie innerhalb der Geschichte, dann gab es wohl zunächst mündliche Botschaften, die mit Hilfe der Schrift zu Briefen wurden, in denen man Dinge erfuhr, bei denen man nicht anwesend gewesen war. Flugblätter, oft Holzschnitte mit wenig Text, Flugschriften mit mehr Text und schließlich Drucke von ganzen Büchern, die zuvor eine große Rarität und sehr kostbar waren, ermöglichten es immer mehr Menschen von Dingen und Ereignissen zu wissen, zu denen sie persönlich keinen Zugang hatten, wenn sie Lesen gelernt hatten.
Bemerkenswert ist, dass schon der Stuttgarter Verleger Cotta nicht mehr nur Nachrichten verbreitete, sondern auch Ratgeber und Unterhaltung. Dabei waren schon die Flugblätter darauf aus durch „Unerhörtes, Schreckliche Geschichten, Furchtbare Unglücke“ die Neugier zu wecken und Umsätze zu erzielen.
Dennoch blieb in den Zeitungen lange Zeit die Nachricht das Wesentliche und die Unterhaltung und die Werbung kamen erst im Laufe der Zeit hinzu. Die Fotografie ermöglichte Bilder zu drucken, die dann zu Zeitschriften führten, die auch unterhalten wollten.
Beim Radio spielte die Musik neben den Nachrichten eine wichtige Rolle, also die Unterhaltung und, da es Anfangs keine Aufzeichnungen gab, die Teilhabe an Ereignissen und Konzerten über das neue Medium. Der Film dagegen war schon früh der Unterhaltung zugetan, weil man damit  ein großes Publikum erreichen konnte. Der Stummfilmkomiker Charly Chaplin etwa hatte zweiweise ein enormes Arbeitspensum, um den Bedarf an neuen Filmen zu decken.
Als das Fernsehen nach dem zweiten Weltkrieg in Schwarz-Weiß begann, gab es noch Testbild, Sendebeginn am späteren Nachmittag und Sendeschluss am späten Abend. Bei Eurovisions-Sendungen schalteten sich mehrere europäische Sender zusammen. Heute sind über Kabel oder Satellit rund 100 Kanäle zu empfangen.
Das Internet brachte noch einmal eine ungeheuere Ausweitung an zugänglichen Informationen, aber – wie die Suchmaschinen schon bald zeigten – war diese ohne technische Hilfe nicht mehr zu meistern. Die Suchmaschinen sind so eine Art Bibliothekskatalog, aber eben elektronisch und in ständiger Aktualisierung. Durch das Smart-Phone – im Grund ein Computer mit dem man auch telefonieren kann – wurde das Internet nicht mehr nur am Schreibtisch, sondern fast überall und jederzeit im Alltag verfügbar.
Entstand früher in einem Gespräch eine Frage, dann merkte man sich diese und schaute zuhause oder in der Bücherei im Lexikon nach, was es dazu an Fakten gab. Heute kann man überall im Internet, etwa in Wikipedia nachschauen und nur der sorgfältige Leser bemerkt, dass diese Seiten auch immer wieder geändert werden.
Eine seltsame Erscheinung ist, dass anscheinend die Menschen auf dieses überwältigende Angebot an Informationen dadurch reagieren, dass sie Kurznachrichten bevorzugen, obwohl längere Texte Sachverhalte viel klarer und anschaulicher machen könnten. Aber dann müsste man sich auf weniger Texte beschränken. So meint man offenbar, dass man durch mehr Kurznachrichten trotzdem den Überblick bewahren könne, was eine Illusion ist. Man lernt weniger zu verstehen und hat daher immer öfter das Gefühl nicht mehr mit zu kommen und etwas zu verpassen.
Bedeutet Vielfalt auch mehr Verwirrung?
Es leuchtet ein, dass diese große Vielzahl an Informationsmöglichkeiten den Eindruck erwecken kann, dass die Welt sehr viel verwirrender geworden sei. Aber stimmt das?
Das hängt vom Blickwinkel ab. Gleich geblieben ist, dass alle Menschen Nahrung, Schlaf, Mitmenschen und irgend etwas brauchen, das ihrem Leben einen Sinn verleiht (egal ob Religion, Philosophie, oder eine Aufgabe). Auch der Körperbau der Menschen hat sich in letzter Zeit wenig geändert, wenn man mal davon absieht, dass viele mangels Bewegung und durch fragwürdige Speisen in ungesunden Mengen zu dick geworden sind.
Was sich geändert hat ist die Zahl der Menschen. Es sind Milliarden hinzu gekommen (7,6 Mrd.) und immer mehr davon leben in Städten. Das hat Folgen:
  1.     Um alle zu ernähren wurde die Landwirtschaft ausgeweitet und die Natur zurück gedrängt. Die in den Städten leben, kennen die Natur zum Teil schon gar nicht mehr und empfinden sie daher als feindlich oder beängstigend. Dafür kennen viele Städter eine Menge technische Einrichtungen, die es in der Natur nicht gibt, angefangen von elektrischem Strom über Autos bis hin zur Kommunikationstechnik.
  2.     Das Leben vieler Menschen auf engem Raum muss geregelt werden, damit es halbwegs funktioniert. Das führt zu mehr Regelungen und mehr Verwaltung, als früher nötig war. Ein anschauliches Beispiel ist der Brandschutz in Hochhäusern; solange es die nicht gab, brauchte man dafür keine Regeln.
  3.     Die Versorgung vieler Menschen auf engem Raum erfordert Transporte vom umliegenden Land in die Städte hinein, beziehungsweise von Abfall hinaus. Das erzeugt Verkehr, der braucht Verkehrswege, die die Städte unter Umständen zerschneiden und neue Regeln nötig machen.
Kurzum, das Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum fordert andere Regeln, als wenn sich die Menschen über eine größere Fläche verteilen. Auch neue Technik kann Regeln erforderlich machen, zum Beispiel eine Straßenverkehrsordnung, die die meisten Verkehrsteilnehmer nur unvollständig im Kopf haben und beherzigen. Die spannende Frage wäre, wie viel Regeln kann ein Mensch befolgen und wo fängt die Überforderung an. Sind etwa 10 Gebote besser als 20, oder 100, oder 1000?
Wer auf dem Lande lebte, musste früher die wichtigsten Pflanzen und Tiere kennen, um nicht in Gefahr zu geraten, sei es durch Giftpflanzen, sei es durch gefährliche Tiere. Wer in der Stadt lebt, muss wissen, das elektrische Leitungen, Gasrohre, Autos und andere Fahrzeuge gefährlich sein können. Wer nicht lesen kann, hat es schwer eine Adresse zu finden, oder Läden und Ärzte aufzusuchen. Es wäre reizvoll zu untersuchen, ob man auf dem Land oder in der Stadt mehr Wissen braucht.
Sicher ist, dass man in der Stadt nicht mehr jede und jeden begrüßen kann und erst recht nicht mit ihnen plaudern. Die Stadt überfordert den Menschen mit mehr Begegnungen, als man verkraften kann. Deshalb muss man in Großstädten viele Begegnungen vermeiden, möglichst ohne unfreundlich zu wirken. Der Mensch ist auf Menschenmassen (noch?) nicht eingerichtet, sondern eher für kleine Gruppen, in denen ein mehr oder minder intensives Begegnen und Austauschen möglich ist, wie in den ca. 1-3 Millionen Jahren, in denen Menschen zusammen leben. Große Städte sind mit ca. 5000 Jahren dagegen sehr neue Einrichtungen.
Durch die Verkehrsmittel trifft man heute vor allem in Städten Menschen, die viel mehr Sprachen sprechen, als noch vor 20 oder 30 Jahren. Zudem bringen die Verkehrsmittel mit ihren Bewegungen in höherem Tempo, als bei Karren mit Zugtieren, dadurch eine größere Unruhe in die Stadt, auch ohne die Sirenen der Rettungsdienste und Polizei. All das zusammen macht Städte zu anstrengenderen Orten, als etwa kleine Dörfer, in denen dafür die soziale Kontrolle viel stärker sein kann. Auch hier ist wieder, wie bei den Medien eine Zunahme der möglichen Reize festzustellen.
Die meisten Leser von Büchern konnten noch abschätzen, wie viel Zeit sie zum Lesen eines Buches brauchten und holten sich dem entsprechend nur so viel Bücher, wie sie auch lesen konnten. Aber das Lesen, also sich selbst mit der eigenen Phantasie amüsieren oder eigenständig etwas Erlernen ist auf dem Rückzug (von 2012 bis 2018 gingen in Deutschland 7 Millionen Leser verloren (Quelle: Börsenverein des deutschen Buchhandels)). An Universitäten werden immer weniger Bücher benutzt, dafür elektronisch verfügbare Texte. Während es beim Radio lange Zeit kaum eine Möglichkeit gab, Beiträge aufzuzeichnen, änderte sich das beim Fernsehen, so dass mancher gar nicht mehr nachkam mit Anschauen der aufgezeichneten Sendungen. Beim Internet ist die Fülle des Angebotenen so groß, dass niemand mehr in der Lage ist auch nur alles wahrzunehmen, was sie oder ihn interessieren könnte.
Einige lassen sich daher von Suchmaschinen oder so genannten Sozialen Medien auswählen was sie zur Kenntnis nehmen. Aber das ist in vielen Fällen immer noch mehr, als man verfügbare Zeit dafür hätte. Man merkt also schon, dass man nicht in der Lage ist sich mit jeder Entwicklung, mit jeder Nachricht zu beschäftigen. Aber das ist nicht neu, sonder nur deutlicher wahrnehmbar geworden.
Da mit den Inhalten der Medien Geld verdient werden soll (und sei es indirekt über Werbung oder Diebstahl von Daten), ist ein Wettkampf um die Aufmerksamkeit der Mediennutzer entstanden. Man bekommt immer öfter im Befehlston die Nutzung aufgedrängt, oder erfährt, was man „wissen muss“, wenn man dazu gehören will. Das setzt die Mediennutzer unter Druck, verstärkt aber auch den Eindruck der Komplexität, denn auch Journalisten tun sich schwer, wenn man sie zu Themen außerhalb ihres Fachgebietes fragt.
Daher wird einem in allen Medien – als eine Art Eigenwerbung – signalisiert, dass ein Fachmann, ein Kenner der Materie dem Nutzer die Welt erkläre, eben weil man ihm seine Unsicherheit nehmen und ihn als Nutzer auf diese Weise an das Medium binden möchte.
Ähnlich sind die Erfolge der Populisten zu erklären, weil sie der Unsicherheit der Menschen einfache Antworten und ein in sich geschlossenes Weltbild gegenüberstellen. Auch das Aufblühen von Verschwörungstheorien, die so ein festes Weltbild anbieten und alles erklären können, verdankt unsere Zeit der Unsicherheit.
Was sich geändert hat sind die Abhängigkeiten. Der Bauer im Mittelalter war seinem Landesherrn, dem Kaiser und der Kirche untertan. Das war übersichtlicher als heute, wo wir Gemeinde, Land, Bund und Europäische Gemeinschaft haben. Deren verschiedene Institutionen  das Verstehen auch noch durch unterschiedliche Begriffe erschweren. Hinzu gekommen sind aber auch Versicherungen. War der Handwerker des Mittelalters in einer Zunft und die bestimmte weitgehend seine Rechte und Pflichten im Beruf, so sind heute Gewerkschaften und Arbeitgeber, Berufsgenossenschaften und Kammern beteiligt und eine Menge Versicherungen, die der Mensch im Mittelalter nicht kannte. Dafür war sein Risiko höher im Falle von Krankheit, Tod oder Raub zu verarmen und im Alter betteln zu müssen.
Zugenommen haben auch die verschiedenen Kommunikationskanäle. Gab es einst nur Boten und Briefe, so haben Fax, Anrufbeantworter, Mobiltelefon, E-mail und Kurznachrichten-Dienste es heute sehr viel einfacher gemacht einander nicht zu erreichen; man muss nur einen Kanal benutzen, den das Gegenüber zwar hat, aber nicht regelmäßig benutzt.
Beim Handel sind zwei Entwicklungen zu beobachten: Einerseits verschwinden immer mehr Fachgeschäfte, dafür gibt es aber gleichartige Läden von irgendwelchen Ketten in fast jeder Stadt und immer größere Anbieter auch im Internet. Die qualifizierte Beratung und die Vielfalt des Angebots verschwindet, aber die Selbstbedienung nimmt zu. Obwohl die Auswahl eher zurück geht, kann das verwirren.
Hat die Unsicherheit zugenommen,
oder nehmen wir sie nur deutlicher wahr?
Im Mittelalter konnten Fürsten bestimmen, welcher Religion die Untertanen glauben sollten, sie konnten ihre Landeskinder als Soldaten verkaufen, als Hexen verbrennen, oder auch gut behandeln. Da man Vieles noch nicht erklären konnte, blühten Aberglauben und Ängste. Auch im 30-jährigen Krieg wusste mancher nicht, ob er morgen noch am Leben sein werde. Kurz: Unsicherheit gab es immer, mal mehr, mal weniger. Aber bei einer geringeren Bevölkerung war de Besuch eines Fremden schon eine kleine Sensation, über die man tagelang reden konnte.
Man selbst reiste selten und meist nicht weit, wenn man nicht zu den Reichen und Gebildeten gehörte. Noch 1710 konnte nur jeder Zehnte in Deutschland lesen. Kein Wunder, wenn die Zahl der Reize viel geringer war, auch, wenn das Leben vielleicht körperlich sehr viel anstrengender und gefährlicher war und die Unsicherheit viel sinnlicher erlebt worden sein dürfte.
Es gibt rund 1000 Krankheiten, die zum Tode führen können, und gegen einige davon gibt es auch gute Gegenmittel. Aber sterben muss man und kann sich meist nicht aussuchen woran. Man kennt Bakterien und Viren und kann viele Krankheiten beschreiben, aber in einigen Fällen ist man fast genau so hilflos, wie die Leute früher.
Es sieht also ganz so aus, als ob ein erheblicher Teil der heutigen Ängste und Unsicherheiten – trotz aller wissenschaftlichen Fortschritte – auf einem falschen Umgang mit dem Informations-Angebot zusammen hängt. Wer erst nach Hause oder in die Bücherei gehen musste, um eine Frage mit Hilfe eines Lexikons zu klären, der überlegte sich vielleicht auf dem Weg, ob die Frage den Aufwand lohnt. Heute gilt der als besonders clever, der auf dem Smart-Phone am raschesten die Antwort findet. Worum es geht, ist nicht so wichtig, Hauptsache man hat als Erster die Antwort. Dadurch wird aber das Nachdenken verkürzt, also die gründlicher Beschäftigung mit der Frage und damit auch, welche Bedeutung die Antwort für einen selbst haben könnte.
Je weniger es gelingt aus Fragen und Antworten ein Ganzes, ein Weltbild zu schaffen, umso verwirrender erscheint diese Welt aus lauter Splittern (Bildern, Tönen und Kurznachrichten). Wenn man dann noch ständig nur halb anwesend ist, weil man ja zur gleichen Zeit immer wieder auf das Smart-Phone schauen muss, um ja nichts zu verpassen, dann verliert man sehr leicht den Kontakt zum hier und jetzt. Und das sind andere Menschen und die tatsächliche Umgebung.
Immer mehr Leute schicken sich keine Kurznachrichten, sondern Sprachnachrichten und hören diese auch ungeniert laut ab, oder telefonieren nicht mit dem Gerät am Ohr, sondern mit Hilfe des Lautsprechers und Alle drum herum müssen mithören, egal, ob sie wollen oder nicht. Dass auch dieses Verhalten Gespräche und Begegnungen verhindert, weil sie ständig unterbrochen werden - oft sogar von anderen Menschen, mit denen man gar nicht redet, geschweige denn reden wollte - führt ebenfalls dazu, dass immer weniger klare Gedanken gedacht und gesagt werden. Kein Wunder, wenn dann die Welt verwirrend erscheint.
Je mehr man sich aber durch ständige Erreichbarkeit und Ablenkung isoliert, oder in virtuellen Scheinwelten begibt, desto unsicher wird man wiederum. Aber Unsicherheit ist nicht „angesagt, nicht cool“, also gesteht man sich weder die eigene Unsicherheit ein, noch, dass man diese durch das eigene Verhalten bei sich und bei Anderen fördert.
Wer in einer Markthalle alle angebotenen Lebensmittel probieren wollte, bekäme sehr wahrscheinlich nicht nur ein Völlegefühl, sondern wegen des Durcheinanders auch Magenweh. Bei Verstand und Gefühlen erwarten manche jedoch, dass Übermaß und ungeordnetes Durcheinander nicht schädlich sein sollen. Eine gesunde Reaktion wäre jedoch bei Zeiten abzuschalten und nichts Weiteres mehr aufzunehmen, oder im Beispiel der Markthalle nur von einigen wenigen Lebensmitteln zu probieren, die einem besonders nahrhaft erscheinen.
Erst vor Kurzem wurde der übermäßige Konsum von Internet-Angeboten (von Spielen bis Nachrichten) als Sucht anerkannt, also als Krankheit bewertet, so ähnlich, wie die Fresssucht.
Man kann und muss allerdings vielen Medienangeboten vorwerfen, dass sie genau darauf aus sind, den Nutzer möglichst lange zu fesseln und zu immer weiterem Verweilen am Bildschirm zu verlocken. Eigentlich waren Nachrichten Informationen nach denen man sich richten konnte, oder sollte, wenn sie für einen von Bedeutung waren. Ob sie das sind, konnte man an den Überschriften erkennen und so aus einer Zeitung recht rasch all das entnehmen, was man brauchte. Heute stellen Überschriften immer öfter Fragen, deren Beantwortung der Leser nur erfährt, wenn er den Beitrag durch Anklicken öffnet. Er muss also die „Katze im Sack kaufen und weiß erst spät, ob er dabei auf einen „Aufreißer“ herein gefallen ist, oder ob die Nachricht etwas taugt. Im Internet geht es darum durch Kicks Werbegelder zu kassieren. Aber in manchen Medien, auch Zeitungen, kopiert man dieses Muster und schadet so dem Nutzer, der deswegen  länger braucht, um sich zu informieren. Auch das fördert die Verwirrung.
Sogar im Radio arbeitet man immer öfter mit Anreizen, die über den sachlichen Hinweis auf eine Sendung hinaus gehen. Und im Video oder Fernsehen beginnt der Beitrag längst nicht mehr mit dem Titel, sondern vorab gibt es ein paar spektakuläre Aufnahmen, die neugierig machen sollen, damit der Zuschauer gefesselt werde und nicht um- oder abschaltet. Es wird also von den Veranstaltern ein Suchtverhalten der Nutzer gefördert, denen bei immer mehr Informationen in immer kürzerer Zeit die Übersicht verloren gehen muss. Es ist ihnen auch kaum noch möglich Nachrichten in einen Zusammenhang einzuordnen, weil ihnen dafür die Zeit, aber vielleicht auch das nötige Hintergrundwissen fehlt. Auch das schafft Verwirrung.
Der Mediennutzer wird also nicht mehr als Kunde ernst genommen, dem man einen möglichst guten Dienst leisten will, damit er wieder kommt, sondern er soll durch Tricks neugierig gemacht werden, damit er sich fesseln und ausbeuten (Werbeeinnahme & Daten) lässt. Nicht mehr das gemeinsame Interesse an einer gegenseitigen Bereicherung, sondern einseitige Ausbeutung vor allem der Schwächeren ist das Ziel. Das ist Menschen-verachtend und nicht im Interesse der Gesellschaft, sondern nur des Medien-Anbieters. Da aber die Wenigsten die Zusammenhänge durchschauen, entsteht bei ihnen der Eindruck einer völlig verwirrenden Welt, gegen die sie sich nur wehren können, wenn sie noch mehr Medien benutzen. Das Gegenteil wäre richtig!
Qualität vor Quantität, anstelle von Masse vor Klasse
Wer wahllos alles aufzunehmen versuchte, würde in kürzester Zeit überfordert. Daher kommt es auf die Auswahl an. In so genannten Sozialen Medien entscheiden Rechenverfahren (Algorithmen) darüber, welche Informationen der Nutzer zu sehen bekommt. Dazu werden seine Daten (auch welche Suchbegriffe man eingab, was man kaufte, wo man wohnt, welche Freunde man hat, usw.) analysiert und nur das gezeigt, was zu diesen Daten passt. Ein Hundebesitzer bekommt eher Hundegeschichten als Katzengeschichten, eine Reiterin etwas über Pferde und nicht über Goldfische. Was bei Tiergeschichten noch recht harmlos ist, führt im politischen Bereich dazu, dass jeder seine politische Meinung bestätigt  bekommt und daher noch weniger verstehen kann, wie andere Menschen zu anderen Meinungen kommen. Hier wird  das gegenseitige Verständnis durch die Nachrichtenauswahl (Bilder, Videos, Texte) behindert, wenn nicht gar zerstört, weil man die Argumente der Anderen gar nicht mehr gezeigt bekommt.
Da selbst Politiker solchen Medien glauben, kann das sehr schnell bedenklich werden, etwa als es 2016 beinahe zu einem Atomangriff kam.
Der große Vorteil herkömmlicher Medien gegenüber dem Internet ist, dass dort Redaktionen Nachrichten kritisch sichten und überprüfen, ehe sie diese veröffentlichen. Das bedeutet nicht, dass man das Internet nicht nutzen sollte, sondern nur, dass man sich dessen bewusst sein muss, dass im Internet jede und jeder so ziemlich alles behaupten können, dass das aber eben nicht stimmen muss, ja sogar eine beabsichtige Falschmeldung sein kann, die unter Umständen sogar noch von einem Bot (eine Art Roboter) stammt, den irgend jemand dafür programmiert hat. So geschehen im letzten amerikanischen Wahlkampf. Um welches Ausmaß es da geht, zeigt eine Meldung des Deutschlandfunks vom 7.7.2018 zum Kampf gegen Falschnachrichten (fake news): Twitter sperrte mehr als 70 Millionen Benutzerkonten im Mai und Juni!
Man muss also im Gegensatz zur vertrauten Tageszeitung, zum vertrauten Radio- oder Fernsehsender im Internet immer damit rechnen, dass der Beitrag, den man gerade wahrnimmt, gar nicht der Wahrheit entspricht, ja nicht einmal etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben muss.
Anschaulicher ist es, wenn man sich vorstellt, dass jemand Wildfremdes einen auf der Straße anspricht und empfiehlt unbedingt diese oder jene Früchte zu essen, weil die so gesund seien. Da wird man zunächst zögern und sich im Bekanntenkreis umhören. Und wenn dann Leute, die man als gut informiert und kritisch kennt, sagen, ja da ist was dran, dann hat das mehr Gewicht, als die Aussage des Fremden, den man nicht einschätzen kann.
Deswegen sind die so genannten Sozialen Medien ja auch so scharf darauf die „Freunde“ der Nutzer kennen zu lernen, weil man dann eventuell durch sie Einfluss auf das Verhalten der Nutzer nehmen kann. Es braucht nur einer dieser so genannten „Freunde“, denen man mehr vertraut, als Fremden, etwas empfehlen, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es einige in diesem Kreis auch tun, auch kaufen, auch für richtig halten. Der so neu entstandene Beruf „Influenzer“ (Beeinflusser, Verführer, Werber)  macht einige wenige reich und verdummt den Rest, denn diese Leute bekommen Geld dafür, dass sie für waren werben, sie tun aber so, als ob sie selbst die Qualität des Produktes erkannt hätten und es deshalb empfehlen. Auf sie passt ganz gut der Begriff der „Falschen Freunde“, die auch zur Verwirrung beitragen.
Da wir gerade bei Menschen, die wir kennen, oder zu kennen glauben, wesentlich mehr Vertrauen haben, verbreiten sich Gerüchte im Internet rasend schnell, egal, wie oft und wie lange man schon weiß, dass es Falschmeldungen sind. Das fördert natürlich wieder die Unsicherheit.
Man hat eigentlich nur zwei Möglichkeiten:
  1. 1.Man nutzt nur solche Quellen, die man schon eine Weile nutzt und daher deren Seriosität und politische Ausrichtung man einschätzen kann.
  2. 2.Man überprüft jede Information, die man erhält, ob sie wahr sein kann und von wem sie ausgeht. Das kann der Einzelne im Normalfall nicht leisten. Selbst Redaktionen tun sich damit manchmal schwer. Erst, wenn man die Information oder Nachricht überprüft hat, gibt man sie weiter, sonst nicht.
Das Zweite kostet natürlich Zeit, also ist man nicht mehr derjenige, der die Neuigkeit als erster ausposaunt, also verliert man Ansehen, ja wird sogar – wenn man auf Falschmeldungen hinweist – als Spaßbremse, oder Besserwisser beschimpft.
Aber auch bei den klassischen Medien muss man leider eine Tendenz zu „Schnelligkeit vor Richtigkeit“ feststellen. Auch hier geht es darum als Erster eine Nachricht zu haben und damit Nutzer an sich zu binden, Werbeeinnahmen zu erzielen (außer bei den Öffentlich rechtlichen Sendern, die durch Gebühren finanziert werden), für Nutzer, die ebenfalls meinen unbedingt als Erste über alles Bescheid wissen zu müssen. Eigentlich müsste es wichtiger sein nur solche Nachrichten zu erhalten, die überprüft sind, denn wenn man häufig auf falsche, aber rasche Nachrichten hereinfällt, muss man mehr, nämlich die Korrekturen, lesen und die Welt erscheint komplizierter, als sie ist, und man muss sich mit dem Korrigieren des eigenen Weltbildes mehr Mühe machen, als wenn man nur solche Nachrichten ernst nimmt, die seriös überprüft wurden. Da das logischer Weise weniger Nachrichten sind, erscheint die Welt auch weniger verwirrend.
Aber zu glauben, man könne sich in dieser Welt auskennen und frei von Unsicherheit leben, das ist der Kernirrtum unserer Zeit. Die Informationsfülle zeigt uns nur unsere Unkenntnis und damit die Unsicherheit deutlicher. Aber Unsicherheit gehörte schon immer zum Leben und ist nichts Neues.
Was neu sein könnte ist das Tempo, in dem sich Dinge ändern. Wer früher einen Hammer kaufte, konnte den – gute Qualität vorausgesetzt – sein Leben lang benutzen und dabei immer geschickter werden. Wer heute ein Smart-Phone kauft, bleibt meist seinem Betriebssystem treu, damit er nicht alle paar Jahre sehr viel Neues lernen muss, sondern nur das, was durch Upgrade und Updates (Erweiterungen) unvermeidlich ist. Aber in der gesamten Informationsbranche ändern sich Standards und Programme in so rascher Folge, dass das Wissen der Menschen immer kürzer nutzbar ist. Man muss also immer öfter etwas erlernen, von dem man bereits beim Lernen annehmen muss, dass man es nur wenige Jahre nutzen kann. Auch das entspricht nicht den Bedürfnissen der meisten Menschen, die froh sind, wenn sie in der Schule, oder später etwas für's Leben gelernt haben, wie eben die Benutzung eines Hammers, oder eines anderen Werkzeugs, das sich nicht alle naslang verändert. Schreiben, Lesen und Rechnen lernte man ein für alle Mal. Dass das, was man schon mal gelernt hat, durch die Informationstechnik in immer kürzeren Zeitabständen entwertet wird, verärgert und verwirrt viele Menschen.
Eine gewisse Steigerung der Kompliziertheit des Zusammenlebens ist durch den Zuwachs an Menschen notwendig geworden, aber der größte Teil der scheinbar verwirrenden Vielfalt hat sich der Mensch mit seiner Technik und seinem verhalten selbst geschaffen. Das bedeutet aber auch, man könnte das wieder ändern, indem man das Tempo senkt und sich auf das Wesentliche beschränkt. Dass unser Wirtschaftssystem das erschwert spricht nicht dagegen, sondern nur gegen ein Wirtschaften, dass nicht als oberstes Ziel hat, den Menschen zu dienen.
 
 
 
 
Ein verwirrendes Verkehrsschild in Stuttgart. Motorräder und Pkws sind eigentlich kein „Landwirtschaftlicher Verkehr“. Dürfen die dann am Wochenende fahren? Oder nicht? Oder dürfen Landwirte dann nicht fahren?