Friss, oder stirb
Wie der Dienst am Kunden ruiniert wurde
 
Die Entwicklung von Berufen dürfte damit angefangen haben, dass einzelne Menschen besondere Begabungen hatten und ihre Mitmenschen das erkannten. Vielleicht sagte ein Steinzeitmensch zum Anderen: „Du kannst so gute steinerne Pfeilspitzen schlagen. Mir misslingen die meist. Kannst du mir welche machen? Ich gebe Dir dafür von meiner nächsten Jagdbeute ein großes Stück ab.“ Und der andere forderte vielleicht: „Also für ein Stück Fleisch, so groß (er zeigt die Größe wohl mit den Händen), mach ich Dir eine Hand voll Pfeilspitzen.“
Berufe und Handel begannen also wohl mit dem Erkennen besonderer Fähigkeiten einzelner und dem Angebot dessen Dienste so zu belohnen, so dass beide damit zufrieden waren. Dieser Handel war für Beide vorteilhaft. Es bestand Freiwilligkeit. Man verhandelte auf Augenhöhe und in Anerkennung der Fähigkeiten des Anderen.
Und heute? Ein Rechtsanwalt gestand mir im Frühjahr, dass auch ihm bei vielen Diensten (vor allem im Internet) gar nichts anderes mehr übrig bliebe, als das Kleingedruckte (z.B. Adobe: Juristenlyrik (5000 Worte, 41 000 Zeichen)) zu akzeptieren, weil ihm gar keine andere Wahl mehr bleibe. Damit werde auch das Lesen des Kleingedruckten eigentlich überflüssig, weil man ja gar keine Einflussmöglichkeit mehr habe, da die Anbieter nach der Methode handeln: „Friss, oder stirb!“ Da lässt sich dann zum Beispiel ein amerikanischer Anbieter von E-mail das Recht einräumen, dass er alle Mails analysieren, also nicht nur mitlesen, darf und mit den Ergebnissen (Persönlichkeitsprofilen, Gläserner Kunde) auch noch Handel treiben und sich Vorteile sichern kann. Der Kunde bezahlt mit seinen Daten und dem Verlust der Privatsphäre und weiß das in vielen Fällen nicht mal, eben weil er das Kleingedruckte im Internet schon lange nicht mehr liest, sondern – um Zeit zu sparen – einfach anklickt, er habe es gelesen.
Anstelle der gegenseitigen Anerkennung und Achtung ist ein Abhängigkeitsverhältnis getreten, bei dem der Kunde der Schwächere ist, der sich den Wünschen und Vorstellungen des Stärkeren zu fügen hat. Die meisten Nutzer von Telekommunikationsfirmen haben schon Vertragsänderungen hinnehmen müssen, weil der Anbieter damit drohte, dass man „sich leider werde trennen müssen, wenn der neue Vertrag nicht akzeptiert werde“. Das grenzt manchmal schon an Erpressung.
Wir haben es also längst nicht mehr mit fairem Handel unter Gleichberechtigten und Gleichen zu tun, sondern große Konzerne diktieren mit ihrer Macht den Kunden (und über Lobbyisten) auch der Politik, was für sie gut erscheint. Und wer versucht im persönlichen Kontakt zu verhandeln, landet bei einem Berater im Laden oder bei der Hotline, der auf etwa 80% der Fragen antworten kann, aber selbst kaum Spielraum für Verhandlungen hat, da die Gewinne der Firmen am Besten sprudeln, wenn man – ähnlich, wie in der Industrie – mit einem standardisierten Produkt und wenigen Varianten möglichst viele Kunden erreicht.
Dass damit auch der gegenseitige Nutzen verloren geht und der Kunde und Handelspartner zur „Cashcow“ (Kuh, die Bares bringt) herabgesetzt wird, den man nach belieben melken und übers Ohr hauen kann, das wird nicht bedacht. Ebenfalls nicht, dass der Kunde diese Geringschätzung merkt und mit eben solcher Geringschätzung antwortet: „die machen doch eh, was sie wollen!“ Woraus Manche dann für sich das Recht ableiten, die Firma ebenfalls zu betrügen, all diese zwischenmenschlich unerfreulichen Nebeneffekte werden nicht bedacht.
Wenn es aber keine Kundenbindung mehr gibt, weil der Kunde sich nicht ernst genommen fühlt, dann muss man enttäuschte Kunden immer wieder mit hohem Werbeaufwand zurück gewinnen. Bei ungefähr 21 Mrd. Werbeausgaben im Jahr in Deutschland bedeutet das pro Kopf ungefähr 250 Euro, die der Kunde natürlich über die Waren und Dienstleistungen selbst unfreiwillig bezahlen muss. Diese Geschäftspolitik verteuert also auch noch Waren und Dienste! Wie wertvoll die Kundendaten sind kann man daran ablesen, dass Facebook für Whatsapp 22 Milliarden Dollar zahlte, also 22 $ je Teilnehmer. Deren Telefonnummern gibt der Dienst jetzt an den Mutterkonzern weiter, damit der damit gezielte Werbung machen kann.
Dass „Friss, oder stirb!“ menschenverachtend und undemokratisch ist und der Gesellschaft damit Schaden zufügt ist eine Sache. Dass die Gewinne dieses gesellschaftsschädlichen Geschäftsmodells in der Regel nicht den Mitarbeitern (Post- und Paketboten, Callcenter-Mitarbeitern, Mitarbeitern in Telefonläden) zugute kommen, sondern nur einigen wenigen hoch bezahlten leitenden Angestellten, macht die Sache noch fragwürdiger, weil sich dadurch die Spaltung der Gesellschaft zudem verstärkt. Und diese Angestellten haften in der Regel nicht für ihre Fehler, sondern bekommen im schlimmsten Fall eine Abfindung. Da sehr häufig digitale Verfahren dabei eine Rolle spielen, sprechen Manche bereits von Digital-Feudalismus.
Aber es gibt auch Gegenbewegungen, seien das Tauschringe, Nachbarschaften, lokale Gruppen, die lokale Läden unterstützen, Bürger, die sich bemühen weniger Energie zu verbrauchen, oder selbst welche zu erzeugen, die Umwelt weniger zu belasten, die Autos und andere Dinge teilen, auf Wegwerfprodukte verzichten, Kaputtes zu reparieren, Sachen selbst zu machen (Gärtnern, Stricken, Schneidern, Schreinern, Renovieren, Häusle-Bauen), kurz sich aus den Abhängigkeiten von Großkonzernen und fragwürdigen Wirtschaftsnetzwerken zu befreien. Es gibt noch Leute, die für gute Ware auch gute Preise zahlen, die sich Dinge nach Maß fertigen lassen und so auch Standards setzen und Fähigkeiten fördern, die sonst vielleicht verloren gingen. Also jede/r kann im Rahmen der eigenen beschränkten Möglichkeiten etwas tun.
Bild:
 Einschränkungen der Sonderangebote auf einem Plakat
 
 
Carl-Josef Kutzbach
Freitag, 26. August 2016