Das Ende der Briefmarke
Carl-Josef Kutzbach
Donnerstag, 10. März 2022
 
Die Post verkaufte uns vor vielen Jahren die selbstklebende Briefmarke als großen Fortschritt. Man bräuchte nicht mehr die Gummierung befeuchten, was oft mit der Zunge geschah.
Daher die Geschichte von dem Mann, der seiner Freundin erzählte, dass er die Marke auf jedem ihrer Brief küsse, weil ihre Lippen daran gewesen wären, worauf sie antwortete, dass sie die Briefmarke meist an der Zunge ihres Hundes befeuchtet habe.
Ich war damals schon skeptisch, konnte das aber nicht so recht begründen. Heute ist mir klar, dass die selbstklebende Briefmarke eine erhebliche Verschwendung von Papier war, nämlich für die Marke und zusätzlich für das Trägerpapier, das man anschließend weg werfen sollte.Obendrein fiel auch noch das Papier zwischen den Marken an, während die gummierten aneinander hingen.
Der Post scheint die Geschichte selbst nicht so ganz geheuer gewesen zu sein, denn die schöneren Briefmarken gab es lange meist noch mit Gummierung. Teilweise hatte man die Wahl zwischen selbstklebend und gummiert.
Allerdings bekam man die schönen Marken nur noch bei einem Schalter in der Hauptpost, die längst von einer imponierenden Halle aus den 50er / 60er Jahren mit vielen Schaltern zum Untermieter in Ladenpassagen geworden war, oder als Zusatzgeschäft für Ladeninhaber firmierte.
Ohne auf die Spiele, die Pubertierende mit Marken als Code für Verliebtsein, spielten, einzugehen, versuchte ich doch meist den Brieffreunden mit schönen Marken eine Freude zu machen. Da könnte auch das Briefmarkensammeln des Großvaters und meines Vaters eine Rolle gespielt haben. Dabei hofften die Sammler immer, dass ihnen einmal eine wertvolle rare Marke ins Haus käme, die den Wert ihrer Sammlung erheblich steigern würde. Als ich beider Sammlungen verkaufte, erhielt ich wenige hundert Euro dafür. Aber ich erinnere mich noch, wie ich bei den Großeltern Briefmarken im Wasserbad von den Umschlägen löste, auf Zeitungspapier trocknete und dann mit dem Großvater sortierte und in Alben steckte.
Meine Mutter hatte viele Marken vom Geschäft mit gebracht und sie später an eine gemeinnützige Stiftung übergeben, um diese zu unterstützen.
Eines Tages war der Schalter mit den schönen Briefmarken in der Hauptpost verschwunden, oder genauer gesagt irgendwo hin in der Stadt verlegt worden, wohin ich nicht ohne Mühe käme.
Auf Geschäftsbriefen ist die Briefmarke schon verschwunden, weil man statt ihrer einen Code im Adressfenster drucken kann, wenn man die nötigen Vorkehrungen getroffen hat. Das spart die Benutzung einer Briefmarke, also ein klein wenig Arbeit. Und der Post spart es das Drucken von Briefmarken und deren Verkauf. Dass der Brief damit den Charme eines Lieferscheines bekommt, interessiert wenig. Hauptsache man kann maschinell prüfen, ob er richtig frankiert wurde.
Frankierung im Adressfenster eines Geschäftsbriefes
Deshalb wird uns jetzt ( s.o. ) verkündet, dass die Briefmarke digital werde, weil unter Verzicht auf ansprechende Grafik der Code für die Maschine in die Marke integriert wurde. Von der Kunst zum Kommerz, könnte man das knapp umschreiben.
Dass man damit denen, die noch Briefe schreiben, eine Chance nimmt, diese schön zu frankieren, und dem Empfänger eine kleine Freude zu machen, spielt offenbar ebenso wenig eine Rolle, wie der Niedergang des Briefmarken Sammelns.
Die Briefmarke, einst ein grafisches Kunstwerk, wurde zum Träger von maschinenlesbarem Code degradiert, der dem Benutzer das Gefühl vermittelt nicht zu wissen, was da steht und auf jeden Fall nicht auf der Höhe der Zeit zu sein, denn sonst ließe man seine Zeilen von einem Drucker ausdrucken und setzte den Code gleich mit ein.
Das macht etwa so viel Freude, wie die Forderung der Post, dass die Anschrift maschinenlesbar sein solle, am Besten gedruckt. Wie das bei Postkarten funktionieren soll, hat mir noch niemand erklärt aber das Ansichtskarten Versenden ist ja auch so ein altertümlicher Brauch, der vermutlich mit der Briefmarke verschwinden wird.
Der einzige Gewinn, den der Code bringt, ist, dass ihn die Maschine lesen kann und das sehr schnell. Allerdings, wie viel Energie das verbraucht, und was bei einem Stromausfall passiert, das scheint in der Rechnung nicht berücksichtigt zu sein.
Kleiner Trost: Noch bietet die Post die Möglichkeit Briefe mit einer Art Marke zu bedrucken, die das eigene Bild, oder jedes gewünschte andere Bild zeigt. Aber wie lange noch. Für solche romantischen Dinge hat das Unternehmen sicher nicht mehr lange Zeit.
 
Das Bild oben zeigt Briefmarken mit einem maschinenlesbaren Code.