Maschinenzeichen
Carl-Josef Kutzbach
Montag, 20. Januar 2020
 
Für Menschen unlesbar
Vor ungefähr 6000 Jahren wurde die Schrift erfunden, die zunächst nur den „Schrift-Gelehrten” verständlich war. Dass große Teile der Bevölkerung lesen lernten und lernen durften, hing in Deutschland mit der Übersetzung der Bibel in die Landessprache zusammen. Zuvor war sie nur den Gebildeten zugänglich, die Latein oder Griechisch konnten. Ein wichtige Rolle spielte dabei der Buchdruck, der es ermöglichte Schrift zu vervielfältigen.
Laut Wikipedia konnten 1820 nur etwa 12 % Der Weltbevölkerung lesen, während heute nur noch 13 % nicht lesen können. Die Fähigkeit zu lesen war also für viele Menschen erstrebenswert und ermöglichte ihnen mehr zu lernen, mehr zu wissen, mehr zu verstehen und damit ihr Leben mehr selbst bestimmen zu können. In Afrika soll der Wunsch ein Mobiltelefon zu besitzen und es auch benutzen zu können, stark zum Lesenlernen beigetragen haben.
Solange ein großer Teil der Menschen mit der Hand schrieb, versuchte die Post die Briefsortierung dadurch maschinell zu ermöglichen, dass sie Klarschriftleser, also Geräte, die Schrift entziffern können, benutzte. Heute erwartet die Post, dass Adressen in Maschinenschrift ge-schrieben werden. Wie das bei Urlaubspostkarten gehen soll, hat noch niemand verraten.
Die Post verwendete verschiedenen Strichkodes als „Zielkodes”, um die Briefsortierung zu automatisieren, auch den oben abgebildeten. Ähnlich ist es bei Paketen, die ebenfalls mittels Strichkodes erfasst und sortiert werden, wofür alle Paketboten ein Gerät mit sich herum tragen müssen.
Das Morsealphabet mit Punkt und Strich war ein frühes binäres (auf zwei Werten, Punkt und Strich, beruhendes) Schriftsystem.
Diese Entwicklung weg von der Schrift, die der Mensch selbst erzeugen und lesen kann, zu Zeichen für Maschinen ging noch weiter: Nach dem zweiten Weltkrieg begann man in den USA mit Strichkodes zu experimentieren, die dort 1973 und in Europa 1976 eingeführt wurden. 
Wikipedia:
Als Strichcode, Balkencode, Streifencode oder Barcode (auch in der Schreibung -kode von englisch bar ‚Balken‘) wird eine optoelektronisch lesbare Schrift bezeichnet, die aus verschieden breiten, parallelen Strichen und Lücken besteht.


Dieser Kode (engl. code) enthält Informationen, mit denen die Maschine etwas anzufangen weiß, aber nicht der Mensch! Dennoch kommt es vor, dass die Maschine den Kode nicht erkennt und die Kassiererin an der Kasse die darunter stehenden Ziffern eintippen muss, damit die Maschine den Preis an die Kasse und das Warentwirtschafts-System (das den Warenbestand, und die Verkäufe erfasst) weiter geben kann. Die Ziffern, statt des Strichkodes, würden also eigentlich genügen, aber dann müsste der Kode sehr genau ans Lesegerät gehalten werden. Die Balken kann der Scanner auch aus einem Winkel erfassen.
Genau so soll der Automat bei der Flaschen- oder Dosen-Rückgabe erkennen, ob der Gegenstand ein Pfand wert ist und ihn andernfalls ablehnen. Das funktioniert allerdings nur, wenn der Strichkode noch lesbar ist. Eine sauber gewaschenen Flasche, bei der auch das Etikett entfernt wurde, erkennt der Automat nicht.
Dass Ziffern Informationen speichern können, bemerken schon Kinder, wenn sie Zahlen als „Geheimschrift” verwenden (a=1, b=2 usw.). Bei einer Geheimschrift will man die eigentliche Botschaft vor den Augen Unbefugter verbergen. Ob das bei den verwendeten Strichkodes auch der Fall ist, weiß ich nicht.
Bei Strichkodes geht es auch darum Information so darzustellen, dass alle Scanner an den Kassen die Daten lesen können.
Will man mehr Informationen speichern, dann verwendet man 2-dimensionale Kodes (wie der Matrix- (Muster) -kode ganz oben), oder sogar Kodes mit drei oder vier Dimensionen.
Heute haben viele Mobiltelefone bereits ein Programm, das solche Matrix-Kodes lesen kann. Sie werden zum Beispiel dazu eingesetzt, um Internet-Adressen zu vermitteln und sofort dorthin zu verbinden. Das mag bei einer Sehenswürdigkeit gut gemeint sein, aber es setzt voraus, dass man brav den Strichkode scannt, ohne zu wissen, was er enthält. Falls der Strichkode zu einer Seite mit Schadsoftware führt, kann das der Laie nicht erkennen, weil er den Kode nicht lesen kann. Es wäre also relativ einfach an einer Sehenswürdigkeit den ursprünglichen Kode mit einem anderen Kode zu überkleben, der dem ahnungslosen Benutzer eine schädliche Software auf sein Gerät lädt.
Während man die verschiedenen Strichkodes mit einiger Mühe und dem entsprechenden Wissen noch in Sprache übersetzen kann, wird das bei Matrixkodes schwieriger.
Warum macht man es dann? Weil es angeblich Geld spart, wenn Maschinen Daten austauschen können und kein Mensch mehr kontrollieren kann, was die da machen. Natürlich wird alles so gestaltet, wie es für den Geschäftsablauf am Besten erscheint. Aber wehe irgend wo schleicht sich ein Fehler ein, dann braucht man Fachleute, die diesen Fehler finden können. Früher hätte der Ladeninhaber auf einen Blick gesehen, dass er nie und nimmer 100 Stiegen Salat verkaufen kann, ehe der schlecht wird, und die falsche Zahl korrigiert.
Da Zahlen so schön anonym und kurz sein können, gab es sowohl im 3. Reich, der DDR und beim Militär Nummern für jede Person, um diese einwandfrei erkennen zu können.
Auch die Bundesregierung hätte gerne eine PKZ, eine Personenkennzahl eingeführt, gab das Verfahren jedoch aus Rechtsgründen auf. Wikipedia:
Das Vorhaben eines Personenkennzeichens wurde verworfen, da der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages 1976 feststellte, dass „die Entwicklung, Einführung und Verwendung von Nummerierungssystemen, die eine einheitliche Nummerierung der Bevölkerung im Geltungsbereich dieses Gesetzes ermöglicht, wegen fehlender gesetzlicher Grundlage unzulässig ist“. Diese Feststellung stützte sich auf das Mikrozensusurteil des BVerfG von 1969, BVerfGE 27, 1 – Mikrozensus. 16. Juli 1969.
Man hätte also die Gesetzesgrundlage ändern müssen und wählte lieber einen anderen Weg. Die PKZ wurde durch die Steuerliche Identifikationsnummer ersetzt, die die Arbeit der Finanzämter erleichtern soll. Wikipedia:
Die steuerliche Identifikationsnummer (IdNr. oder auch Steuer-IdNr.) ist eine bundeseinheitliche und dauerhafte elfstellige Identifikationsnummer von in Deutschland gemeldeten Bürgern für Steuerzwecke.
Zu der Identifikationsnummer werden alle persönlichen Angaben gespeichert: Name(n), Anschrift(en), Geschlecht, Geburtstag und -ort sowie das zuständige Finanzamt. Die gesetzliche Grundlage ist § 139b Abgabenordnung und die dazu ergangene Verordnung (§ 1 STIdV).
Der damalige Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, befürchtete, die Identifikationsnummer könne, wie der italienische Codice Fiscale, ein weit über die Steuerbelange hinausgehendes allgemeines Personenkennzeichen werden.
Für die Einführung der Identifikationsnummer wurde im Oktober 2007 der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück mit dem Negativpreis Big Brother Award in der Kategorie Politik ausgezeichnet. Weiterhin wird die Verfassungskonformität der Identifikationsnummer von einigen Kritikern bestritten.
In all diesen Fällen geht es vor allem darum, dass Maschinen Informationen verarbeiten können. Das ist zunächst weder gut noch schlecht. Maschinen können in sehr hoher Geschwindigkeit Daten verarbeiten, wie jeder weiß, der eine Suchanfrage ans Internet stellt. Das geht viel schneller, als wenn man früher den Katalog einer Bücherei durchgehen musste, um irgend etwas Bestimmtes zu finden.
Doch es gibt Probleme mit Maschinenzeichen:
Alle Daten die in einer Form vorliegen, die der Mensch nicht sofort lesen kann, können falsch sein und der Fehler wird unter Umständen nicht bemerkt. Damit können aber Auskünfte oder Entscheidungen über einen Menschen falsch sein. 
Der Mensch gibt die Kontrolle aus der Hand und wird zum Objekt von Rechenoperationen, die kein Laie mehr nachvollziehen kann, sondern nur noch Fachleute. Damit geht Transparenz, Kontrolle und mit ihr Sicherheit verloren.
Der Mensch - auch der, der gut lesen kann - wird immer öfter mit Zeichen konfrontiert, die er nicht mehr lesen kann, weil die nur für Maschinen geschrieben wurden. Dadurch fühlt er sich ausgeschlossen, weil ihm ein Teil der Welt unzugänglich und fremd wird. 
Die immer öfter verwendeten Kodes sind auf den Verpackungen, Paketen, Fahrscheinen oder Hinweisen auf Informationen bei Sehenswürdigkeiten in der Regel kein ästhetischer Gewinn, sondern hässlich, weil offenbar nicht für den Menschen gedacht, sondern für Menschen, die die geeigneten Maschinen besitzen.
Dabei hilft es wenig, wenn der Laie weiß, dass die verschiedenen Kodes unterschiedlichen Zwecken dienen und, dass in den allermeisten Fällen damit wohl kein Unfug oder Betrug beabsichtigt ist. Er kann das - im Gegensatz zu einem Text in Klarschrift - nicht mehr lesen und damit auch nicht mehr kontrollieren.
Wäre es denn besser, wenn, wie bei den meisten Waren auf dem Strichkode noch eine Nummer steht, die der Mensch lesen kann? Es wäre vielleicht sympathischer, aber nicht wirklich hilfreich, denn deren Bedeutung kennt man ja auch nicht. Aber eine Artikelnummer, eine ISBN-Nummer, kurz alles, was halbwegs eindeutig ist, wäre weniger irritierend, als die sichtbaren Zeichen, die nur die Maschine lesen kann:

Diese Matrix der Bahn ist 25 Quadratzentimeter groß, nimmt also fast DIN A 7 ein. Was drin steht, erfährt der Kunde nicht. Er kann nur vermuten, dass das, was auf seiner Fahrkarte in Textform steht, dort noch einmal für die Maschine lesbar zusammen gefasst ist.
Wenn man bedenkt, dass früher die Fahrkarte ein Stück Pappe war, nicht größer als eine Streichholzschachtel, dann fragt man sich, weshalb der Kunde heute am eigenen Rechner eine DIN A 4 Seite inklusive dieser Matrix ausdrucken soll und am Automaten ebenfalls ein größeres Stück Karton als Fahrschein bekommt. Wo ist da der Fortschritt?
Dass man die Bürger nicht gefragt hat, ob sie kryptische Zeichen auf Waren, Dienstleistungen und im Alltag sehen möchten, wundert wenig. Es ging ja ums Geldsparen, indem man menschliche Arbeit durch Maschinen ersetzte. Dass dabei die Bürger die Zeche zahlen, störte wenig. Aber sie müssen natürlich die Strichcodes, die Druckfarbe, das nötige größere Etikett oder Papier und selbstverständlich die Maschinen bezahlen, die anderen die Arbeit weg nahmen, und die Arbeitslosenunterstützung ebenso. Die Bürger müssen bei Post und Bahn häufig die Kodes selbst ausdrucken, also ein entsprechendes Gerät haben, Strom, Druckerfarbe und Zeit aufwenden. Und sie können nie sicher sein, dass das, was sie da sehen, auch das ist, was man ihnen versprach, oder, was sie dort stehen haben möchten. Der Bürger zahlt also für etwas, was er nicht bestellt hat.
Vor der möglichen Gefahr durch das Scannen entsprechender Kodes, kann man sich zwar schützen, indem man sie nicht scannt, aber das Ergebnis ist wieder, dass man ausgeschlossen wird von etwas, was man vielleicht eigentlich nutzen würde, wenn man sich darauf verlassen könnte, dass da wirklich nur das dahinter steckt, was im Text daneben versprochen wird.
Die drei Kodes stammen von einem Brief, einer Obstverpackung und einem DB-Fahrschein.https://de.wikipedia.org/wiki/Big_Brother_Awardsshapeimage_2_link_0