Durchgestrichener Himmel
Carl-Josef Kutzbach
Mittwoch, 25. Mai 2022
 
Morgens um Acht. Der Blick aus dem Fenster zeigt ein Dutzend Kondensstreifen, die den eigentlich wolkenlosen Himmel zerkratzt haben. Etwa alle fünf Minuten kommt ein neuer hinzu. Der Himmel sieht aus, wie ein Schmierpapier, auf dem jemand verschiedene Stifte ausprobiert hat. Nur sind es meist gerade Linien, die sich kreuzen, während man beim Ausprobieren eines Schreibwerkzeugs öfter Kreise malt.
Ein kleines Motorflugzeug kommt näher, wird lauter und verklingt auch wieder. Das ist der einzige Vorteil der Kondensstreifen-Zeichner: Sie fliegen so weit oben, dass man sie nicht hört. Dafür sieht man sie aus vielen Kilometern Entfernung und sie hinterlassen dünne Wolken, wenn sich die Streifen zu Flächen ausdehnen, je nachdem, wie stark der Wind dort oben ist. Nach zwei Stunden bedeckt eine milchige Kondensstreifen-Wolkenschicht den Himmel.
Geht man von etwa 1000 Menschen aus, die da in einer Stunde vorbei fliegen, dann zerstören sie mittels der Flieger den Anblick eines wunderschönen Himmels an einem Frühlingsmorgen für Millionen Menschen, die sich diese Streifen ansehen müssen.
Es ist, wie so oft, dass Einige sich das obendrein subventionierte Fliegen leisten können, ohne auf die Umwelt Rücksicht zu nehmen. Die anderen, die Skrupel haben, oder zu arm sind, müssen  mit dem durchgestrichenen Himmel leben, der ihnen zeigt, wie wenig die Reicheren bereit sind die Umwelt zu schonen. Es ist dasselbe, wie wenn Motorrradfahrer unter möglichst großer Lärmentwicklung ihrem Vergnügen frönen, damit alle hören und sehen, was für tolle Hechte sie sind, oder Radfahrer nicht nur auf Wegen, sondern querfeldein durch Feld und Wald preschen, oder Autofahrer in übergroßen Fahrzeugen für den Weg zum nächsten Laden ein bis zwei Tonnen Material bewegen. Da sie nicht mehr in ihre Garage passen, parken sie am Straßenrand, sodass Parkplätze Mangelware werden und die Straße enger wird, sodass Busse und Lkws entweder nur langsam an einander vorbei kommen, oder auf den Gehweg ausweichen, wo sie Fußgänger gefährden.
Benutzt der Fußgänger jedoch den Gehweg, steht ein Teil der Stadt-untauglichen Vehikel (SUVs) mit zwei Rädern auf dem Gehweg, damit sie ja keinen Kratzer auf der Straßenseite bekommen, wo es wegen ihres Wunsches sich breit zu machen, enger zugeht, als früher. Die Außenspiegel werden heute beim Aussteigen sowieso eingeklappt.
Bescheidenheit, Beschränkung auf das Notwendige, Schonung der Güter, die allen gehören sollten, Rücksichtnahme auf Schwächere und auf die Natur, das spielt keine Rolle mehr.
Erst am späten Abend sinkt die Zahl der neuen Kondensstreifen. Selbst in einer Mondnacht zerstören manche das friedliche Bild einer Nacht mit segelnden Silberwölkchen.
Lauter Zeichen der Rücksichtslosigkeit!
 
Das Bild oben zeigt Kondensstreifen über Stuttgart.