Verkehrte Gesellschaftsstruktur
Einkommen wurde von Können abgekoppelt
Carl-Josef Kutzbach
Mittwoch, 5. Dezember 2018
 
Wenn man sich eine Gruppe von Menschen anschaut, dann gibt es da immer ein paar sehr kluge und ein paar, die eher dumm sind, aber die große Masse ist durchschnittlich begabt. Wenn man das in einer Kurve darstellt, bekommt man ungefähr die Form einer Glocke, oder eines Sandhaufens, auf den es etwas geregnet hat (was die Oberfläche glättet): Am Rand sind wenige Sandkörnchen und in der Mitte die meisten. Der Mathematiker Gauss nannte das die „Normalverteilungskurve”, die man bei sehr vielen Erscheinungen der Welt findet.
Dieser Verteilung von Fähigkeiten entsprechend gibt es normaler Weise immer ein paar Arme und ein paar Reiche und einen breiten Mittelstand, der der Gesellschaft Stabilität verleiht.
Zur Zeit erleben wird aber eine Abnahme des Mittelstandes, bei der einige Wenige zu Reichen werden, die meisten aber eher an Einkommen und Wohlstand verlieren. Es ist, als ob aus der Kurve, die der Sandhaufen darstellt, eher eine Kurve wird, wie sie ein durchhängendes Seil zwischen zwei Befestigungen bildet: Viele, mehr oder weniger Arme, oder Menschen mit mehreren Arbeitsverhältnissen und einige wenige, die sehr reich sind, aber in der Mitte fehlt es.
Aber das Bild ist teilweise falsch, denn was beim Sandhaufen der Boden ist, auf dem er liegt, müsste beim durchhängenden Seil dessen tiefster Punkt sein und nicht die Punkte der Aufhängung. Die Form die da entsteht, erhielte man, wenn man den Sandhaufen mit einer dünnen Schicht Gips oder Polyester überzöge und diese Form dann umdreht. Da dann nur die ehemalige Spitze des Sandhaufens auf dem Grund aufliegt, würde diese Form nie stabil und fest, wie ein Sandhaufen liegen, sondern eher, ähnlich einer Halbkugel sich bei der geringsten Belastung zur Seite neigen.
Auch, wenn man berücksichtigt, dass der Intelligenzquotient nicht mehr steigt und man das Bildungssystem sicherlich verbessern könnte, lässt sich nicht erklären, dass so viele Menschen ihre Fähigkeiten verloren, oder nie ausgebildet haben sollen. Es muss also andere Gründe haben, wenn das Einkommen nicht mehr die Fähigkeiten der Menschen spiegelt.
Dass diese Entwicklung die Stabilität der Gemeinschaft gefährdet, weil sie den meisten Menschen Angst macht, kann man als einen Grund für das Erstarken rechter und autoritärer, antidemokratischer Kräfte deuten. Man sucht nach dem verloren gegangenen Halt. Nimmt die Zahl der Enttäuschten zu und protzen zugleich andere mit Einkommen, die ebenfalls nicht mehr an ihre Fähigkeiten gekoppelt sein können, dann führt das zu Spannungen, die die Gemeinschaft zerstören können.
Außerdem erzeugt das Gefühl, dass man nicht mehr nach seinen Fähigkeiten entlohnt und belohnt wird, sondern nach irgend welchen unverständlichen Regeln, ein Gefühl der Ungerechtigkeit und diese wiederum Neid und Hass.
Kaum jemand würde einem Musiker, der jahrelang sein Instrument geübt hat und nun ein Konzert gibt, übel nehmen, wenn er dafür auch eine Gage bekäme, die seine jahrelange Arbeit, aber auch die Freude, die der den Konzertbesuchern bereitet hat, spiegelt. Würde jedoch statt des Musikers auf der Bühne nur eine Tonkonserve seiner Musik abgespielt werden, dann würde man demjenigen, der diese Tonkonserve abspielt, nicht die gleiche Gage zubilligen, wie dem Musiker, da die Leistung des Abspielens einer Tonkonserve wesentlich geringer ist, als die des eigentlichen Musizierens.
Ganz ähnlich erscheint es heute Vielen in der Wirtschaft: Leute, die keine eigene Leistung vorweisen können, verdienen als Geschäftsführer große Summen und werden selbst im Fall des Scheiterns noch mit einem „Goldenen Handschlag“ abgefunden. Investoren benutzen das Geld anderer Leute (z.B. Krankenkassenbeiträge und Lebensversicherungsgelder, die angelegt werden müssen), um damit Gebäude zu schaffen, die möglichst viel Geld beim Verkauf, oder der Nutzung bringen. Ob sie schön sind, oder an dieser Stelle ins Stadtbild passen, spielt für sie keine Rolle, da sie in den meisten Fällen im Hintergrund bleiben und nicht mit ihrem Namen für ihre Taten geradestehen müssen. Im Falle des Aufsichtsrates der Deutschen Bahn wurden die Mitglieder, als sie - wider alle wirtschaftliche Vernunft - S 21 (die Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofes unter die Erde) und seinen Weiterbau beschlossen, sogar gegen eine mögliche Haftung versichert.
Dass man mit solchen Gemeinschafts-schädlichen Tätigkeiten sehr reich werden kann, während man mit der eigenen Hände Arbeit immer weniger verdient, oder einen Teil des Verdienstes in Technik stecken muss (vom Auto über den Computer bis zu Maschinen), um überhaupt davon leben zu können, das ärgert viele Menschen und manche entwickeln daraus eine ohnmächtige Wut, für die sie oft kein Ventil finden, was ihre eigene Gesundheit gefährdet. Man redet ihnen auch ein, dass sie selbst schuld seien, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren, oder auf keinen grünen Zweig kommen, obwohl in Wirklichkeit die Firma nur noch höhere Gewinne aus den Menschen heraus pressen möchte und deshalb die Produktion verlagert (Nokia in Bochum, Nestle in Ludwigsburg), was die Mitarbeiter zu Arbeitslosen macht.
Anständige Unternehmer, die selbst für Gewinne und Verluste haften, kümmern sich in der Regel auch um ihre Mitarbeiter und deren Wohlergehen. Leider scheinen sie auszusterben. Sie passen ja auch nicht zu einer Gesellschaftsstruktur, die nicht mehr auf Stabilität (Sandhaufen) angelegt ist, sondern darauf, dass man sie mit geringem Kraftaufwand in jede Richtung kippen kann (Halbkugel). Im Augenblick scheint sie in Richtung Nationalismus, Egoismus und nach rechts zu kippen.
 
 
Glocke als Symbol der Gaussschen Normalverteilungskurve