Egozentrische Radler
Carl-Josef Kutzbach
Dienstag, 2. November 2021
 
Wer ein Fahrrad haben möchte, mit dem man unbesorgt quer durch das Gelände fahren kann, der muss tief in die Tasche greifen ( 500 - 8000.- € ) für Mountainbikes oder Geländefahrräder ( ATB ). Hinzu kommen Helm und Schutzkleidung ( so genannte Protektoren ). Das ist also kein Sport für die kleine Leute, sondern eher für die Wohlhabenderen aus den besseren Vierteln.
Am 29.10. beklagte in der Stuttgarter Zeitung der Jugendrat Tim L. ( 16 ), dass für Jugendliche in Stuttgart Nord zu wenig getan werde. Und er wünscht sich, dass eine bisher illegale Strecke mit Bodenwellen ( Pumptrack ) ausgebaut werde. Sein Argument: „Unsere illegale Anlage ist jetzt schon zu einem Treffpunkt geworden. Das hat zur Folge, dass die Mountainbiker nicht mehr im Höhenpark trainieren und die Fußgänger gefährden.“  
Das ist eine kühne Argumentation, denn für über Zehnjährige ist im Höhenpark das Radfahren verboten, was aber auch viele Erwachsene nicht stört. Er möchte also als Belohnung dafür, dass man sich an die Regeln hält und auf die weitere Zerstörung des Höhenparks verzichtet, die Förderung einer legalen Strecke durch die Allgemeinheit. Das ist ziemlich dreist.
Wie wäre es denn, wenn die Hersteller und Vermarkter von solchen Rädern, die an der Illegalität der Benutzer gut verdienen, auch Land pachten und dort entsprechende Strecken ( wie für Motocross ) einrichten würden? Denn in Baden-Württemberg gilt, dass das Radfahren auf Waldwegen, die schmaler sind als 2,50 Meter verboten ist. Das soll einerseits die Fußgänger im Wald schützen, weil dann eine gefahrlose Begegnung möglich ist und andererseits soll das Gebot Wege zu benutzen verhindern dass Wildtiere gestört werden. Dieses Gebot ist Radlern ein Dorn im Auge, denn wozu hat man sich ein Gelände-gängiges Rad mit Federung und allem Komfort gekauft, wenn man es nicht auch abseits der Wege nutzen darf?
Dabei hat man in Stuttgart mit dem „Woodpeckertrail“ eine ( Abfahrt ) Downhill-Strecke  geschaffen, um die Zerstörung der Natur wenigstens etwas zu kanalisieren. Bergwärts werden von den jungen Leuten Straßenbahn und Zahnradbahn benutzt. Diese Strecke ist eigentlich ein Widerspruch zu der Regel, dass man auf den Wegen bleiben muss, und zum Betretungsrecht der freien Landschaft, denn Fußgänger dürfen diese Strecke verständlicher Weise nicht betreten.
Worum geht es denn bei dem Streit der Radler gegen Fußgänger, gegen das Radfahrverbot im Höhenpark, und um das Fahren Abseits der Wege? Das Hauptargument ist die Freude an der Körperbeherrschung. Es macht Freude, wenn man ein Gerät meistert und wenn man das auch unter schwierigen äußeren Bedingungen schafft. Das ist überhaupt keine Frage. Dass man dieses Können gerne auch Anderen vorführt, kommt hinzu, denn Meisterschaft im Verborgenen befriedigt nicht so sehr, wie wenn man sein Können stolz präsentieren kann.
Gegen die wachsende Körperbeherrschung, die zu Recht der Stolz eines Heranwachsenden ist, lässt sich nichts sagen. Egal, ob sie sich beim Jonglieren zeigt, beim Einradfahren, beim Kajak oder Ruderboot, beim Balancieren auf dem Seil oder anderen Gelegenheiten sich an seinem Können zu erfreuen und es immer weiter zu vervollkommnen.
Auch Werbung wird per Rad im Park gemacht.
Die verschiedenen Tätigkeiten werden dann zum Problem, wenn sie zu Lasten Anderer ausgeübt werden ( nicht das Motorradfahren ist das Problem, sondern der damit verbundene Lärm ). Die Pandemie hat gezeigt, dass die Naherholungsgebiete oft schon an ihre Grenzen kamen, weil das Verreisen nicht möglich war. Wenn Viele dasselbe tun wollen, dann führt das zu Engpässen. Daher muss man mehr Rücksicht auf einander nehmen, damit das Zusammenleben friedlich bleibt.
Auch deutliche Hinweise, wie diese großen Steine und das frische Beet, werden missachtet und umfahren.
Wenn sich jedoch Gruppen Rechte anmaßen ( Autofahrer auf der Busspur zu parken, Motorradfahrer zu Lärmen, Radler verbotene Wege zu benutzen ), dann führt das zwangsläufig dazu, dass andere Gruppen verärgert sind, oder sich wehren.
Dort wo Radler sich nicht an die Regeln halten, werden sie früher oder später dazu gezwungen.
Auffallend ist in alle drei Beispielen, dass Geräte missbraucht werden, um Macht auszuüben ( Auto, Motorrad, Fahrrad ). Manche Leute meinen, der Besitz eines Gerätes erlaube auch seine Nutzung wo es einem gerade passt und ohne Rücksicht auf Andere. Die Anderen sind häufig die, die sich solche Geräte nicht leisten können, oder sie nicht zum Angeben brauchen. Reiche, die sich solche Geräte kaufen können, kommen sich toll vor, dass sie mittels des Gerätes etwas tun können, was andere nicht können.
Wo sollen kleine Kinder denn Radfahren lernen, wenn nicht im Park, da es auf dem Gehweg oft schon zu gefährlich erscheint?
Das ist Hochmut und die Arroganz der Macht. Egal, ob man als über Zehnjähriger im Höhenpark Fahrrad fährt, dort Fußgänger und kleine Kinder belästigt, die Beete und Wiesen zerstört, ob man mit dem Motorradlärm viele Menschen belästigt, oder sein Auto irgend wo hin stellt, wo es nicht stehen sollte, weil man „nur schnell etwas erledigen” will. Stets ist man sich selbst wichtiger, als die Mitmenschen; Egozentrik eben. Es fehlt die Fähigkeit durch Rücksicht-nehmen eine Balance verschiedener Interessen zu schaffen, wie es nötig ist, wenn viele eng zusammen leben.
Ein großer Teil jener Radfahrer, die verbotener Weise durch den Killesberg fahren, sind aus der näheren Umgebung, stammen also aus dem dortigen Nobelviertel. Rücksichtslose Reiche? So kann man es sehen. Das gilt auch für die Jugendlichen, die dort mit ihren teuren Rädern Schäden anrichten, was ihnen vielleicht nicht einmal bewusst ist, aber zusätzliche Arbeit von den Gärtnern (s.o.) erfordert, also auf Kosten der Allgemeinheit geht. Dass es auch Trampelpfade gibt, die von Anwohnern stammen, sei der Fairness halber auch erwähnt.
Das sind eindeutig Fahrradspuren!
Wenn sich nun der Jugendrat engagiert, ist das zunächst mal eine gute Sache. Dass das aber vorwiegend im eigenen Interesse geschieht und nicht etwa im Interesse aller Jugendlicher in Stuttgart Nord, wo es auch ärmere Viertel gibt, hat ein Geschmäckle. Es zeigt die Egozentrik – die man bei jungen Menschen zwar verstehen kann – die man aber nicht fördern sollte. Dabei ist verständlich, dass auch Jugendlichen das Hemd näher ist, als die Hose. Natürlich sollen sie auch ihre eigenen Interessen benennen. Aber als Jugendrat, sollten sie nicht nur die Interessen der Radler im Blick haben, sondern die aller Jugendlicher des sehr vielschichtigen Stadtteils.
Was ist denn mit all den Jugendlichen, die sich überhaupt kein Fahrrad leisten können? Was ist mit denen, die nicht nahe der Grünflächen und Parks leben? Was haben die davon, wenn wohlhabende durchsetzungsfähige Jugendliche nahe bei ihren Wohnungen ihre eigenen Interessen verfolgen, statt den Interessen aller Jugendlicher?
Bild ganz oben: Nicht mal auf den Treppen ist der Fußgänger im Park vor Radlern sicher.