Die Steinzeit ist gar nicht so weit weg
Carl-Josef Kutzbach
Mittwoch, 18. Juli 2018
 
Der Begriff „Steinzeit“ wurde 1836 vom Dänen Christian Jürgensen Thomsen geprägt, der die Idee hatte Zeitabschnitte nach dem vorwiegend benutzten Werkstoff zu benennen. Das Ende der Steinzeit ist nicht überall gleich, da die nächsten Werkstoffe Kupfer und Bronze nicht überall zur gleichen Zeit verfügbar wurden. Deshalb sind die meisten Zeitangaben, vor allem die älteren nur ungefähre Angaben, die sich oft durch neue Funde ändern könnten.
Räumlich:
Der Unterkiefer aus der Sandgrube von Mauer bei Heidelberg (vor 600- 230 000 Jahren) Homo Heidelbergensis Vorläufer des Neandertalers aus dem Neandertal genannten Abschnitt der Düssel (vor 230 - 30 000 Jahren) bei Mettmann (NRW).
Die Zahlen sind grobe Angaben und teilweise nicht sicher.  (600 000 = ± 40 000 Unsicherheit)
Stuttgarter Travertin ca. 250 000 Jahre alte Menschenspuren (heute Müllsortierung);
der Frauenschädel von Steinheim an der Murr ist ebenfalls so alt. Also entweder „Heidelberger“ oder „Neandertaler“;
Schwäbische Alb, deren Höhlen im Lone- und Achtal zum Weltkulturerbe zählen, wo vor 40 000 Jahren erste anatomisch moderne Menschen lebten.
Stuttgart: Bopser, Birkenkopf, Burgholzhof vor ca. 4000 Jahren Steinwerkstätten für Faustkeile oder Klingen, die man angeblich bis zum 2. Weltkrieg dort oft bei Spaziergängen fand; die Macher müssen also recht fleißig gewesen sein, oder über längere Zeit am selben Fleck gearbeitet haben. Die Funde waren oft knapp unter der Erdoberfläche!
Zeitlich:
Die Steinzeit begann (Vielleicht nach einer Holzzeit?) - nach heutiger Kenntnis - mit den ältesten gefundenen Werkzeugen vor etwa 3,4 Millionen Jahren in Afrika. Sie endete mit dem Aufkommen des damals neuen Werkstoffs Kupfer, also in Mitteleuropa um 2200 v. Chr. oder allgemeiner mit der Bronzezeit. Allerdings nicht überall zur gleichen Zeit. Australische Ureinwohner oder die San in Südafrika leben im Miteinander und ihrem Selbstverständnis, wie manchen verborgenen Indiostämme, wohl noch in ziemlich ähnlicher Weise, wie die frühen Menschen.
Die Steinzeit ist also erst vor recht Kurzem (4200 Jahren) zu Ende gegangen. Das ist nur etwas mehr als ein Prozent der Menschheitsgeschichte. Gut 98 % waren Steinzeit! Oder 20' von 1 Tag!
Menschheitsgeschichte im Schweinsgalopp:
Es ist überhaupt erstaunlich, dass es so alte Funde gibt, weil viele Überreste in dieser Zeit verschüttet wurden, oder sich zersetzten. Daher gibt es wohl keine Holzzeit.
Vor 3,5 Millionen Jahren verließen einige unserer Vorfahren die Wälder und zogen hinaus in die Savanne, ins Grasland. Dort überlebte eher, wer aufrecht ging und Nahrung, Beute und Gefahren schon von Weitem erkennen konnte. Daher kam es vor 3 Millionen Jahren zum Aufrechten Gang, der dazu führte, dass Kinder früher geboren werden mussten, weil sie sonst nicht mehr durch das Becken gepasst hätten.
Daher die Abhängigkeit kleiner Säuglinge von den Eltern, eben, weil die Geburt eigentlich zu früh erfolgt. (Bei einer Giraffe dagegen beginnt das Leben mit einem freien Fall aus etwa zwei Meter Höhe und wenig später kann das Neugeborene mit der Herde mitziehen.) Daraus kann man schließen, dass es schon damals Fürsorge der Gruppe für die Mutter und den Säugling gegeben haben dürfte. Das gibt es auch bei Tieren, etwa Kängurus oder Seepferdchen, aber jetzt wurde es für Menschen notwendig, eben weil die Kinder früher geboren werden mussten, wegen des aufrechten Ganges und der damit im Laufe vieler Generationen erfolgten Veränderung des Skeletts hin zu einem engeren Becken. Man muss sich immer wieder klar machen, dass das keine plötzlichen Veränderungen waren, sondern dass sie über lange Zeiträume erfolgten.
Der Stammbaum der Menschen spaltete sich in verschiedene Zweige auf. Ein Beispiel:
Vor 2,6 - 2,4 Millionen Jahren wurde es in Afrika trockener. Also bildeten einige Früchte dickere Schalen, um ihre Samen vor dem Austrocknen zu bewahren. Das führte zu zwei Lösungen bei den Menschen: Dem so genannten Nussknacker-Menschen mit einem gewaltigen Kiefer, die damit die Früchte knacken konnten und zu den Menschen, die Werkzeuge benutzten, um die Schalen zu öffnen.
So ähnlich kann man sich manche Aufspaltung der frühen Menschen vorstellen: Man hatte ein Problem und suchte nach einer Lösung, fand aber vielleicht zwei, die dann im Wettbewerb gegen einander antraten. Der Werkzeug-Gebrauch erwies sich offensichtlich als vielseitiger.
Der Faustkeil, mit dem man Nüsse und harte Schalen zertrümmern konnte, bekam vielleicht durch Absplittern scharfe Kanten. Damit war das Messer erfunden, eine Voraussetzung für Kleidung aus fremden Fellen. Und die wurde nötig, weil das eigene Fell verschwunden war.
Friedemann Schrenk vom Senckenberg-Institut in Frankfurt erzählt:
„Wir können rekonstruieren, dass der Verlust des Felles spätestens vor zwei Millionen Jahren geschehen war. Und die erste Ausbreitung aus Afrika heraus hat auch ungefähr vor zwei Millionen Jahren stattgefunden, aber eben nur in wärmere Gebiete. Also spätestens dann, wenn die Besiedlung von kälteren Gebieten erfolgte, also vor etwa einer Million Jahren, musste irgend was in Bezug auf Kleidung passiert sein; das waren dann eben Felle von Tieren.”
Nicht nur die Vorläufer des modernen Menschen, auch andere Menschenarten zogen aus Afrika weg, wobei nicht klar ist, warum. Überbevölkerung und Übernutzung der Natur sind weniger wahrscheinlich. Eher schon klimatische Veränderungen, oder vielleicht war es auch nur schlichte Neugier und Lust auf Neuland?
Je mehr der Mensch mit Werkzeugen, Kleidung oder Feuer umzugehen lernte, desto unwirtlichere Gegenden konnte er besiedeln, wobei ihm bis zu 120 Meter niedrigere Meeresspiegel manchen Weg erleichterten, etwa von Afrika auf die vor 125 000 Jahren noch grüne arabische Halbinsel.
Ungefähr um diese Zeit begannen Menschen auch Schmuck aus Muscheln oder anderem Material zu tragen, wobei es sich auch um Abzeichen oder Talismane gehandelt haben könnte.
Unter denen, die in unsere Gegend kamen dürfte vor 600 000 Jahren der Heidelberger und ab  230 000 auch der Neandertaler gewesen sein. Die anatomisch modernen Menschen kamen wohl vor 40 000 Jahren die Donau (und in Frankreich die Rhone) herauf gezogen. Auf denselben Wanderungsroute dürften später Ackerbau und Viehzucht aus dem Goldenen Halbmond am Oberlauf von Euphrat und Tigris nach Europa gekommen sein.
Was waren das für Menschen?
Goethe bemerkte mal, dass viele Menschen erstaunt sind, wenn sie merken, dass ihre Vorfahren auch schon kluge Leute waren und ganz gut denken konnten. Aber wenn man bedenkt welch kurzes Stückchen Menschheitsgeschichte zwischen dem Ende der Steinzeit vor gut 4000 Jahren und heute liegt, dann wird klar, dass die Veränderungen in dieser kurzen Zeit nicht so gewaltig  gewesen sein können. Die Technik hat Neues ermöglicht: Gemauerte Bögen, Buchdruck, Motoren, Eisenbahn, Auto, Flugzeug, Atombombe und Datenverarbeitung durch Maschinen. Aber die Menschen haben noch ganz ähnliche Bedürfnisse: Ernährung, Schlafen, Mitmenschen und das Leben sollte einen Sinn haben, egal ob Religion, Philosophie oder eine Aufgabe.
Als Hans-Peter Uerpmann von der Universität Tübingen einen 7000 Jahre alten Begräbnisplatz auf der arabischen Halbinsel untersuchte, stellte sich heraus, dass der von den Nomaden nur im Frühjahr besucht wurde, allerdings rund 1000 Jahre lang. Und unter diesen Nomaden gab es offenbar welche, die einem Mann die Schädeldecke öffneten, was der auch überlebte. Wenn man dann noch weiß, dass die Nomaden in Gruppen von 30-40 Personen lebten, von denen viele Kinder waren, dann ist das eine erstaunliche medizinische Leistung gegen Ende der Steinzeit.
Weltkulturerbe Höhlen in der Schwäbische Alb
Was haben wir denn bei uns an Funden und was verraten sie uns? Im Travertin, Steinheim und bei Heidelberg dürften es frühe Menschenformen gewesen sein, die später ausstarben. Aber auf der Alb und in deren Höhlen lebten anatomisch moderne Menschen, die uns sehr ähnlich waren. Sie arbeiteten etwa vier Stunden am Tag für ihren Lebensunterhalt, hatten also Zeit und Kraft auch für andere Dinge. Und das waren aus Elfenbein geschnitzte Perlen und Figuren, wie die „Venus” aus dem Hohlen Fels bei Schelklingen, Pferd (Bild siehe oben), Bär, Elefant oder der Löwenmensch. Der Löwenmensch ist etwas Besonderes, weil er dreimal an verschiedenen Orten gefunden wurde, also wohl eine Art religiöses Symbol darstellt.
Die „Venus” bei der Vorstellung am 13.5.2009.
Da die Schnitzer etwas konnten, ist die stark sexuelle Form und der Verzicht auf einen Kopf zugunsten einer Öse ein Hinweis darauf, das das Absicht war.
Ferner fand man Reste von Flöten, Schwirrhölzern und Rahmentrommeln. Der Experimental-Archäologe Friedrich Seeberger hat 2003 auf Nachbauten im Hohlen Fels musiziert. Es gibt eine CD im Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren, die einen Eindruck davon gibt.
Musik dürfte schon vor 40 000 Jahren dort erklungen sein. Vielleicht wurde dazu auch gesungen und getanzt. Da diese Kunstformen keine Spuren hinterlassen, wissen wir es nicht. Es könnte aber sein, dass man durch Höhlenmalereien Hinweise darauf findet, wenn man nämlich die Darstellungen von Menschen mit Schauspielern nachstellt, dann könnten entsprechende Körperhaltungen auf Tanz, oder sogar Gesang hinweisen.
Es gab wohl auch auf der Schwäbischen Alb Höhlenmalereien, die aber auf dem Gestein nicht lange hielten. Man fand aber Spuren im Schutt auf dem Höhlenboden.
Der Schutt auf dem Höhlenboden aus dem die meisten Ausgrabungen stammen, enthielt, wie in einem Hobbykeller vor allem Abfälle, misslungene Werke und Bruchstücke. Aus ungefähr 80 Tonnen Schutt wurden in über 12-jähriger Puzzle-Arbeit rund 50 der ältesten figürlichen Kunstwerke der Menschheit falls möglich zusammen gesetzt, sowie über 20 Flöten geborgen. Der große Löwenmensch (knapp 32 cm) besteht aus 280 Teilen. Aber zwischen 99 und 99,9 Prozent des untersuchten Materials war bedeutungslos.
© Von Dagmar Hollmann - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0,
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=29686577
Diese Werke, oder Kopien findet man heute in mehreren Museen: im Landesmuseum in Stuttgart, im Museum unterm Turm (MUT) der Universität Tübingen, im Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren, im Museum Ulm und im Archäopark Vogelherd bei der Vogelherd-Höhle.
Was bedeutet das?
In den rund 10 000 Jahren, in denen diese Höhlen immer wieder von Menschen benutzt wurden, entstand eine Menge an Kunstwerken. Das heißt nicht, dass hier die Wiege der Kunst zu suchen wäre, denn
1.) könnte man jederzeit anderswo noch ältere Kunst finden und
2.) gab es ja auch in vielen anderen Höhlen ungefähr zur selben Zeit Malereien, die erstaunliche Fähigkeiten belegen.
3.) Wurde im Februar verkündet, dass in einer vom Neandertaler genutzten Höhle in Spanien Spuren von farbigen Zeichen gefunden wurden, die 68 000 Jahre alt sein dürften. Damit und durch andere Werke (Speere von Schöningen? 300 000?, Farbproduktion bei Maastricht um 250 000) wird klar, dass der Neandertaler durchaus zu mehr fähig war, als man lange Zeit glaubte.
Seit zehn Jahren erforscht die Heidelberger Akademie der Wissenschaften „die Rolle der Kultur bei der Ausbreitung der frühen Menschen”, wobei das Frankfurter Senkenberg-Institut und Museum, sowie die Uni Tübingen die Hauptlast der Arbeit tragen. Ich hatte das Glück die Arbeiten immer mal wieder zu verfolgen. Zunächst mal, was meint man hier mit: „Kultur“? Volker Moosbrugger, Leiter des Senckenberg-Institutes:
„Ich glaube man muss „Kultur” grundsätzlich so verstehen, dass es eigentlich eine Auseinandersetzung mit der Natur ist. Jeder Organismus lebt in seiner Umwelt, setzt sich mit ihr auseinander. Die Kultur tut exakt das Gleiche. Nur wird die Kultur nicht über Gene vererbt, sondern über Kommunikation. Ich teile sie irgend jemand Anderen mit, egal ob der mit mir verwandt ist oder nicht.
Aber das Grundziel der Kultur und der kulturellen Evolution ist eigentlich das Gleiche, wie der biologische Evolution, einfach dem Menschen ein Überleben in seiner Umwelt zu erlauben.”
Wo die Grenzen zwischen Mensch und Tier verlaufen, ist schwieriger zu sagen, als man auf Anhieb denkt, denn auch Tiere benutzen Werkzeuge und bei den Orang Utangs muss ein Weibchen das Stillen bei einem anderen Weibchen gesehen haben, damit es selbst Stillen kann. Also auch bei Tieren gibt es Nachahmung und bei einigen auch Kommunikation (die gibt es sogar bei Pflanzen).
Es scheint, als ob eine gelungene Mischung dazu führte, dass sich der Homo sapiens gegenüber anderen Menschenformen durchsetzte. Der Gebrauch von Werkzeug plus der Beherrschung des Feuers erlaubte durch Braten und Kochen die Nutzung von mehr Lebensmitteln, als nur Roh-kost. Das führte offenbar dazu, dass die Menschen älter wurden. Beim Neandertaler geht man davon aus, dass sie meist mit 25 Jahren starben, also ihre Enkel nicht mehr erlebten. Beim modernen Menschen gab es offenbar dank der breiteren Ernährungsgrundlage häufiger Großeltern, die sich um die Enkel kümmern konnten und damit die Eltern entlasteten. Der Anthropologe Prof. James O‘Connell von der Universität Utah meinte, dass es durchaus sein könnte, dass die Großmutter zum Motor der Kultur wurden:
„Sie spielt sicherlich eine lehrende Rolle, wie die meisten wissen, bei der Kinderbetreuung, für den Erfolg der Mutter als Erziehende und so weiter. Man weiß, dass für das Wohlergehen der Kinder und den Austausch mit Erwachsenen, der ihre kulturelle Fähigkeiten bestimmt, Großmütter ganz wichtig sind.”
Mütter, die entlastet werden, können auch mehr Kinder bekommen. Und wenn es dank der Beherrschung des Feuers mehr zu Essen gibt, überleben auch mehr Kinder und die Gruppe kann größer werden. Bis heute sind die Großeltern für den Spracherwerb der Enkel sehr wichtig. Deshalb war die von der Wirtschaft geforderte Mobilität, die Familien zerriss und die Hilfe der Großeltern verringerte, keine gute Idee. Jahrhundertelang lebte die nächste Generation meist im Umkreis von 70 Kilometern, also maximal zwei Tagesreisen zu Fuß von den Großeltern entfernt. Heute suchen verblüffender Weise viele Kinder ihren Wohnsitz innerhalb eines Kilometers Umkreis zum Elternhaus.
Natürlich sind die Großeltern nicht allein entscheidend, denn das afrikanische Sprichwort sagt: „Es braucht ein ganzes Dorf, damit ein Kind groß werden kann!“ Aber Großeltern können für Eltern und Enkel eine große Hilfe sein.
Neuere Forschung legt nahe, dass die modernen Menschen größere Gruppen bildeten, als die anderen Menschenarten, vor allem der Neandertaler. Damit wuchs auch der Bedarf an Kommunikation. Aber niemand weiß, wann die Sprache entstand, weil Laute sich schlecht ausgraben lassen. Aber Gedanken hinterlassen Spuren.
Die Forscherin Miriam Haidle entwickelte daher einen Ansatz, mit dem man die Komplexität von Gedanken beschreiben kann. Jeder für die Herstellung eines Werkzeugs nötige Gedanke wird in einer Art Gedankenfahrplan fest gehalten:
„Ich war selber vollkommen verblüfft, als ich dieses Kognigramm des Speers gemacht habe. Ich dachte eigentlich ein einfacher Speer, kann ja nicht so schwer sein. Aber ich selbst hab einen Tag gebraucht um wirklich alle einzelnen Punkte zusammen zu fügen. Der ist aufgebaut auf Grund von Experimenten, die man schon gemacht hat, um Speere herzustellen. Man braucht ungefähr viereinhalb, fünfeinhalb Stunden dafür, wenn man alle Rohmaterialien und alle Werkzeuge schon da hat.”
Muss man erst alle Rohstoffe zusammen suchen, dauert es manchmal sogar mehrere Tage. Den Löwenmensch nach zu schnitzen erforderte mit Steinzeit-Werkzeugen über 300 Stunden! Sie hatten also auch Ausdauer!
Marlize Lombard, Archäologin an der Universität Johannesburg fand vor einigen Jahren die frühesten Hinweise auf Pfeil und Bogen:
„Wir fanden in Südafrika in der Höhle von Sibidu Belege für Pfeil-und-Bogen-Technik, die etwa 64 000 Jahre alt sind. Und diese Technik ist sehr interessant, wenn man die geistigen Fähigkeiten betrachtet, weil sie zeigt, dass die Leute verschiedene Techniken gleichzeitig verwenden konnten, um mit größerer Wahrscheinlichkeit ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Dabei ist nicht so sehr das Alter der Pfeil-und-Bogen-Technik wesentlich, sondern was das für das Verhalten der Menschen sowie deren Technologie und Erkenntnisfähigkeit anzeigt.”
Dabei verwendeten die Hersteller für die Pfeilspitzen einen Zweikomponenten-Klebstoff. Auch Tierfallen wurden wohl um diese Zeit „erfunden“, was darauf hin weist, dass die Leute kompliziertere Zusammenhänge zu durchdenken vermochten. Ob nur in Gedankenbildern, oder schon mit Hilfe von sprachlichen Begriffen, weiß man leider nicht.
Da Kunst sowohl bei Höhlenmalereien, als auch bei den Kunstwerken aus den Höhlen der Schwäbischen Alb ungefähr vor gut 40 000 Jahren auftaucht, kann man daraus schließen, dass die frühen Menschen wiederum einen Schritt zu komplexerem Denken gemeistert hatten. Das dabei eine Sprache hilfreich gewesen wäre, leuchtet ein, aber Belege gibt es dafür keine.
Allerdings ist anzunehmen, dass mit der Musik auch so etwas wie Gesang entstanden sein könnte. Und wer einen Bogen bauen kann, der könnte damit ebenfalls Musik machen. Marlize Lombard:
„Die Möglichkeit besteht. Wir haben historische und ethnologische Belege, dass die Buschleute in Südafrika Bögen als Saiteninstrument benutzten, etwa als Violinen-ähnliche Geräte, die mit einem Stab gestrichen wurden und den Mund als Klangkörper (ähnlich der Maultrommel) nutzten, um den Klang zu verstärken. Aber sie können auch nur gezupft werden, als einfache Gitarre. Aber das heißt nicht, dass das in Südafrika notwendiger Weise bereits vor 64 000 Jahren geschah.”
Man könnte aus alledem schließen, dass die Sprache vermutlich spätestens innerhalb der letzten 100 000 Jahre entstanden sein dürfte, aber vielleicht auch schon früher, seit die Großeltern länger lebten und sich um die Enkel kümmerten. Wir können es einfach nicht belegen. Aber es liegt nahe, dass komplexere Gedanken sich mit Hilfe einer Sprache besser fassen und damit auch besser weiter geben lassen. Und die Kunstwerke der Alb zeigen, dass die damaligen Menschen schon sehr komplexe Vorstellungen hatten, wenn sie etwa beim Löwenmenschen einen menschlichen Körper mit dem Kopf eines Löwen kombinierten. Diese Fähigkeit zur Kommunikation komplexer Sachverhalte könnte der entscheidende Vorteil gegenüber anderen Menschenarten gewesen sein.
Schon damals dürfte auch eine gewisse Arbeitsteilung entstanden sein. Das legen jedenfalls Versuche mit Studenten nahe, die Steinwerkzeuge machen sollten. Einigen gelang das nach ein paar Stunden ganz brauchbar und anderen kaum. Solche unterschiedlichen Begabungen dürfte es auch früher gegeben haben, ja sogar eine Art von Serienfertigung, wie verschiedene „Pfeilspitzen-Fabriken” in Afrika, aber auch auf Bopser, Birkenkopf und Burgholzhof nahe legen.
Verstand und Gefühl
Die schon erwähnten Buschleute in Afrika, die San, manchmal auch Buschmänner genannt, scheinen in einigen Aspekten den frühen Menschen noch ganz nah. Chris Low hat sich lange bei ihnen aufgehalten und skizziert, wie sie sich bemühen mit ihrer Umwelt in Harmonie zu leben:
„Man kann das leicht romantisieren. Worüber wir reden ist: Leute, die wissen, wie man gut lebt, weil sie ihre Umgebung sehr gut kennen und wissen, dass es ihnen gut geht, wenn sie als Gemeinschaft zusammenarbeiten. Und das heißt, dass sie auf ihre Umgebung hören, aufeinander hören, ständig aufnahmebereit sind, weil es viele Bedrohungen und Gelegenheiten gibt. Das ist gar nicht so anders, als heute. Aber es geht um eine andere Einstellung. Wissen Sie, wenn Leopard, Löwe oder Schwarze Mamba sich anschleichen, dann müssen sie darauf achten. Daher achten sie vor allem Anderen auf sich selbst und auf das, was ihre Umgebung bietet.”
So ähnlich könnten viele frühe Menschen gelebt haben, weil sie sonst nicht überlebt hätten. Sie achten sehr auf ihre Gefühle und reden darüber. Chris Low:
„Alles wird besprochen oder wird gefühlt. Und das ist, was wirklich zählt. Sie denken nicht: „Ich hab das in einem Buch gelesen, also hab ich recht und Du nicht.“ Es ist eher: „Ich hab das erlebt, ich weiß das, ich erzähl dir meine Erfahrung. Vielleicht hilft sie dir, vielleicht nicht. Aber ich fühlte das in mir, ich hab auf meine Träume gehört, auf das Kribbeln meines Körpers. Und das ist Teil meiner Person und wie ich Dingen einen Sinn gebe.”
Das ist etwas, was auch noch uns Heutigen gut tut, zu versuchen das Erlebte und Gefühlte so zu deuten, dass es für uns selbst einen Sinn ergibt und dann darüber mit Anderen sprechen, so dass man ein Gefühl dafür bekommt, ob das stimmen kann, was ich empfinde und denke. Andernfalls entstehen Verschwörungstheorien, die dem Einzelnen das Gefühl geben er sei ein Auserwählter, ein Wissender und der Rest der Welt sei töricht. Damit wird jedoch die Gemeinschaft zerstört und die Vorteile, die eine funktionierende Gemeinschaft bietet, gehen verloren. Dabei klingen manche Vorstellungen der San durchaus für unsere Ohren befremdlich:
„Schauen sie sich diese Leute an, wie sie über ihre Körper reden. Und sie reden ständig davon: Mein Rücken schmerzt, also weiß ich, das jemand kommt, den ich trug, als er klein war; meine Schenkel schmerzen, das meint, ich werde eine Autofahrt machen müssen; mein Auge juckt, das meint, jemand redet über mich; meine Nackenhaare stellen sich auf, das meint, es ist ein Leopard hinter dem Baum.”
Wenn man bedenkt, das auch die Psychotherapie versucht einem Menschen zu einem harmonischem Verhältnis zur Welt zu verhelfen, dann sind solche Erklärungen vielleicht gar nicht so weltfremd, wie sie für uns klingen. Auf alle Fälle zeigen sie, dass der Mensch das Bedürfnis hat die Welt als Sinn-voll zu erleben. Der Verstand allein genügt nicht. Es muss sich auch „richtig” anfühlen. Und daran hat sich offenbar bis heute nur wenig geändert.
(Spickzettel für „Dienstags im FRITSCH” 17.7.2018)