Mit dem Abo durchs Land
Eine fragwürdige Werbung
Carl-Josef Kutzbach
Samstag, 21. August 2021
 
Die treuen Stammkunden, die trotz Pandemie ihr Abonnement nicht kündigten, sollten in den Sommerferien dadurch belohnt werden, dass sie mit ihrem Abo alle Nahverkehrs-Angebote wahrnehmen dürften, also z.B. mit ihrem Abo vom Stuttgarter VVS zum Bodensee, nach Hohenlohe, ins Unterland oder den Schwarzwald fahren können.
Das ist in Zeiten steigender Ansteckungszahlen eigentlich ein halb vergiftetes Angebot, weil man in Verkehrsmitteln, trotz Maskenpflicht eine leicht erhöhte Ansteckungsgefahr wegen der größeren Nähe hat.
Eine weitere Einschränkung steht im VVS Kundenmagazin direkt auf der Titelseite, nämlich, die Sperrung der Stuttgarter Stammstrecke ( Hauptbahnhof - Stuttgart-Vaihingen ). Auch auf der letzten Innenseite wird eine „nicht vollständige” Liste weiterer Baustellen aufgeführt. Und auf Seite 13 steht als Überschrift für über 60-Jährige: „Der Sommer wird gut!”
Ein Blick in die Baustellenkarte der Bahn ( s.o. ) weckt Zweifel.
Ich hatte mir aber ein paar Ausflugsziele in der Nähe ( um nicht all zu lange fahren und Maske tragen zu müssen ) ausgesucht. Ausgerechnet als wegen eines Baufehlers und folgendem Loch in der Fassade das Gebäude des Stuttgarter Hauptbahnhofes gesperrt werden musste, wollte ich nach Hirsau im Schwarzwald, dort die Klöster besichtigen und dann auf den Spuren von Hesse, oder dessen Opa Gundert nach Calw spazieren. Ich hatte zur Wahl S6 bis Weil der Stadt und dann mit dem Bus, oder ganz mit der Bahn mit Umsteigen in Vaihingen/Enz und Pforzheim.
Diese Variante erwies sich leider als schlechte Wahl, denn vor Vaihingen/Enz gab es eine Signalstörung, so dass in Vaihingen der Anschluss verpasst wurde. Also auf den nächsten Zug nach Pforzheim warten und den durchfahrenden ICEs und Regional- und Güterzügen zuschauen.
Dass damit aber auch in Pforzheim der Anschluss verpasst werden würde, war mir da noch gar nicht klar. Aber es wundert wenig, dass die sorgfältig gewählte Verbindung nun nicht mehr funktionierte. Der Anschluss in Pforzheim war vor Kurzem weg gefahren, als ich zum Bahnsteig der „Kulturbahn“ kam. Kam es mir nur so vor, oder ist der Pforzheimer Bahnhof besonders triste? Das Gebäude, das Architekt Peter Conradi 1958 eröffnen konnte, hat eindeutig bessere Zeiten gesehen. Der Vorplatz mit imponierenden Bauten aus der Vorkriegszeit ebenfalls.
In der Unterführung hat man die alten Fliesen von vor dem Krieg abgeschlagen, ohne sie aber bisher durch irgend etwas Besseres ersetzt zuhaben, so dass die rohe Wand zu sehen ist.
Viele ehemals einladende Läden und Lokale sind längst auf einem Niveau angekommen, wo es nur noch ums Überleben zu gehen scheint, oder aus Sicht der Bahn, um das Leerstehen zu vermeiden.
Auch das, was auf den Gleisen zu sehen ist, beglückte mich nicht. Da mag eine Rolle spielen, dass ich als Kind gelernt hatte, dass rote Züge ( bis auf den TEE ) zum Nahverkehr gehörten, Personenzüge petrolgrün waren und blau für besonderen Züge, etwa Schlafwagen, Touropa, oder ganz schnelle Fernverkehrszüge reserviert war ( Orient-Express ). Diese klare Ordnung fehlt mir heute. Da stehen die schwarz-weiß-gelben Züge des Landes Baden-Württemberg, die in anderen Bundesländern andere Farben haben, neben den Zweisystem-Straßenbahnen aus Karlsruhe ( eine gute Idee ) in ihrer Mischung aus ocker und orange und ihrem zum Teil etwas altbackenen Design.
Dafür ist dann der vergrößerte Schienenbus aus dem Nagoldtal wieder rot, der nun zwei Drehgestelle hat und nicht mehr zwei Achsen, was für ein angenehmeres Fahrverhalten sorgt. Das Design, obwohl logisch, überzeugt mich als Fahrgast nicht. Im Schienenbus waren alle, auch der Fahrer auf einer Ebene, dafür musste man hinein klettern. Nun sitzt der Fahrer an den Enden auf dem höchsten Punkt, die Plätze über den Drehgestellen ( und Motoren? ) sind erhöht und die meisten Plätze sind in der Mitte, wie in einer Sänfte in Doppelsitzen auf einer Seite und Einzelklappsitzen mit dem Rücken zum Fenster auf der anderen Seite, sodass man entweder gegenüber hinaus schauen kann, oder sich verrenken muss. Klar kann man so Platz für die Mitnahme von Fahrrädern schaffen und ermöglicht einen niedrigeren Einstieg, aber der Blick nach Vorne, oder nach Hinten ( ein Genuss im alten Schienenbus ) ist kaum noch möglich. Auch die schrägen Fensterrahmen, die wohl den Fahrzeugkasten stabilisieren sollen, wirken nicht einladend. Ob man da an schräge Dachbalken, oder Gebälk, das kippt erinnert wird?
Da die „Kulturbahn“ im Stundentakt verkehrt, musste ich lange warten und hatte viel Zeit, um auch die weitgehend automatisierte Toilette für einen Euro Gebühr ( Nero lässt grüßen: „non olet” ) aufzusuchen. Ob sie nur sauber aussah, oder es auch wirklich war, habe ich nicht untersucht, aber es lag eine Menge Klo- oder Abtrockenpapier am Boden herum. Wenn kein Mensch mehr kontrolliert, meinen Einige sie müssten sich nicht benehmen. Ob die beiden Damen, die ich draußen im Gespräch vertieft gesehen hatte, dafür zuständig gewesen wären?
Schließlich kam der Triebwagen und dem Fahrer war eine kurze Pause gegönnt, in der er von einem Führerstand zum anderen einen kleinen Spaziergang machen durfte. Nach kurzer Pause fuhr er wieder zurück nach Wildberg, wo man in den Schienenersatzverkehr hätte umsteigen müssen, um nach Horb zu kommen. Zum Glück wollte ich da nicht hin und hatte mir diese schöne Strecke für eine Zeit aufgehoben, wenn sie durchgängig mit der Bahn befahren werden kann.
Dass die Strecke zum großen Teil eingleisig ist, auch, wenn man einen Tunnel schon mal für zwei Gleise breit genug gebaut hatte, zeigt auch, dass auf dieser Strecke der Güterverkehr keine Rolle mehr spielt. Hin und wieder ist Platz für ein zweites Gleis, manchmal liegt sogar eines, das meist von Pflanzen überwuchert ist.
In Bad Liebenzell, wo der Gegenzug passiert wurde, erinnerte ich mich an meine Kindheit, in der wir manchmal nach Bad Liebenzell fuhren. Einmal aßen wir dort oben bei der Burg auf einer Terrasse und mein Patenonkel hielt mir beim anschließenden Spaziergang einen ernsten Vortrag über die Geschlechtsreife.
In Hirsau, das ich mit einer Stunde Verspätung (2,5 Std. statt 1,5 Std. Fahrt ) erreichte, sieht  man noch am alten Bahnhofsgebäude, das nun einen privaten Eigentümer hat, wie schön einst die Gebäude der Bahn gewesen sein müssen. Es ist weitgehend aus Holz gebaut und mit Schindeln geschützt, die für meinen Geschmack etwas zu grell angestrichen wurden, aber dazwischen sieht man hölzerne Lüftungsgitter, die geschnitzt sein könnten. Hier im Schwarzwald weitgehend auf Holz als Baumaterial zu setzen, scheint konsequent.
Kaum jemand stieg mit mir aus. Hirsau ist ja auch nur noch ein Haltepunkt, der bei Bedarf bedient wird. Der Gehweg an der Straße hinab zur Bundesstraße ist so schmal, dass man mit Kinderwagen oder Rollator seine liebe Müh und Not hätte. Kinder und Alte sind offenbar hier nicht mehr vorgesehen.
Der Besuch in den beiden Klöstern und der Weg auf Hesses Spuren nach Calw, war schön, wenn auch teilweise betrüblich, etwa, wenn so viele Läden und Cafés geschlossen sind, die einst die Anwohnern versorgten, oder einen Ausflug versüßen konnten. Auch das Klostercafé, auf das ich mich gefreut hatte, war - mangels Kundschaft - geschlossen. Ebenso in Calw das Café Montagnola neben dem Hesse-Museum.
Dass ich auf dem Weg um wenige Zentimeter von einer E-Bike-Radlerhorde verpasst wurde, obwohl ich korrekt entgegen der Fahrtrichtung am Straßenrand ging, was die aber ganz offensichtlich nicht störte, weil sie weiter plauderten, ließ mich etwas ratlos zurück. Was hätte ich den besser machen können. Oder erwarteten diese schwarzen „Ritter” in ihrer Montur, dass ich als Fussgänger ins Gebüsch hätte springen sollen? Dabei hat der Gesetzgeber erst jüngst Autofahrer dazu angehalten eineinhalb Meter Abstand zu Radlern zu halten, wenn sie überholen. die Radler müssten also wissen, wie unangenehm es ist, wenn jemand knapp an einem vorbei fährt. Warum handeln sie nicht ebenso, sondern fahren knappe zehn Zentimeter an mir vorbei, was im Falle eines Stolperns, oder eines Fahrraddefektes wohl schwere Folgen gehabt hätte?
In Calw schaute ich mir noch den ZOB mit Parkhaus und Bahnstation auf dem Dach an, oberhalb der in Zukunft auch die Endstation der Hesse-Bahn liegen soll, ehe ich mit dem Bus nach Weil der Stadt und von dort mit der S6 bis Feuerbach fuhr, von wo ich mir mit der meist viel zuverlässigeren Straßenbahn den Fußmarsch um den Hauptbahnhof herum sparte.
Nachdem nun auch noch die S-Bahnen in Stuttgart ( angeblich wegen der Gäubahn ) nur noch eingeschränkt verkehren, so dass auch ein guter Teil der mit ihnen erreichbaren Ziele nur umständlich, mit längerer Fahrzeit, wenn überhaupt zu erreichen sind, sehe ich meine Befürchtungen zu Anfang der Ferien bestätigt, dass das Angebot eine Mogelpackung ist.
1.    Weil man ja wegen der Pandemie volle Züge meiden sollte und Maske tragen muss.
2.    Weil durch die große Zahl von Baustellen nahezu alle Ziele nur verspätet oder umständlich zu erreichen sind. Wenn ich aber für die Anfahrt mehr Zeit brauche, als für den eigentlichen Ausflug, dann wird es fragwürdig.
Wenn man etwa mit dem Fahrrad nach Singen möchte, wird man zwar das halbe Land kennen lernen, aber rund vier Stunden brauchen. Manche Orte sind nur noch per Bus zu erreichen ( Neuffen, Bad Urach ), oder per Bahn nur auf abenteuerlichen Umwegen, wie Teile der Schwäbischen Alb, der Baar, des Oberlandes oder des Schwarzwaldes. Wer ins Unterland will, muss erst mal mit der S-Bahn zu deren Endstation und dort dann in den Regionalzug umsteigen, der normalerweise von Stuttgart aus führe. Ähnliches gilt für Ausflüge in nahezu jede Richtung. Ziele, wie der Bodensee sind nur mit wesentlich längeren Fahrzeiten zu erreichen, weil man irgend wo auf der Strecke auf „Schienenersatzverkehr” umsteigen muss, also auf Busse, die dann durch die Lande jagen, was nicht immer ein Vergnügen ist, auch, wenn man anderes zu sehen bekommt, als von der Bahn aus. Da zudem jedes Umsteigen die Gefahr erhöht, dass durch eine Störung der Anschluss verloren geht, kann man auch nicht wirklich planen, wie der Ausflug ablaufen wird. Das ist bei schönem Wetter nicht unbedingt tragisch, aber wenn man von einem überraschenden Regen durchnässt wäre, möchte man doch möglichst rasch und zuverlässig ins Warme gebracht werden. Auch für müde, quengelnde Kinder und deren Eltern sind unzuverlässige und längere Verbindungen ein Graus.
Da unter den gegenwärtigen Bedingungen keine sichere Planung von Ausflügen möglich ist, auch, wenn sie des Abos wegen kostenlos wären, verzichte ich, bis die meisten Baustellen nach der Sommerpause beendet sind und suche mir dann die Strecken aus, wo ich mit einem Zug und ohne Umsteigen zum Ziel kommen könnte, auch, wenn ich dann dafür bezahlen muss. Aber so, wie das jetzt läuft, habe ich den Eindruck, tut sich die Bahn keinen Gefallen, sondern bestätigt die - zum Teil berechtigten - Vorurteile eher noch.
Dass diese Misere nicht dem GDL-Streik anzulasten ist, sondern dem jahrelangen Unterlassen der notwendigen Wartung, der gerechten Bezahlung der Mitarbeiter und dem irrsinnigen Versuch einen Teil der Infrastruktur an die Börse zu bringen, ist sowohl der Bahn, aber auch dem Bund als Besitzer anzulasten, vor allem den CSU-Verkehrsministern, die immer schlimmer zu werden scheinen.
Leid tun mir die Mitarbeiter der Bahn, die sich seit Jahrzehnten bemühen den Betrieb aufrecht zu erhalten und diejenigen, die auf die Bahn angewiesen sind und nicht nur Ausflüge machen wollen, auf die man auch verzichten kann. Dass damit die Bahn dem Tourismus und der Gastronomie und den Läden in den Orten schadet, die von der Pandemie schon kräftig gebeutelt wurden, zeigt, dass die Führung offenbar ihre Aufgaben als Infrastruktur-Anbieter überhaupt nicht ernst nimmt. Es sind ja auch nur 71 der rund 300 Tochtergesellschaften der Bahn noch mit dem Verkehr auf der Schiene in Deutschland beschäftigt. Vielleicht will man die auch noch los werden, um profitabler da zu stehen?
Der Bildausschnitt oben stammt von der Seite „bauinfos.deutschebahn.com/baden-w vom 30. Juli 2021