Nachlaufen führt in die Irre
Carl-Josef Kutzbach
Mittwoch, 26. April 2023
 
„Wer den Leuten nachläuft, sieht lauter Hinterteile vor sich!” soll Goethe gesagt haben. Was er unerwähnt ließ ist, dass man dann die Richtung nicht bestimmen kann, in die man läuft, sondern Andere entscheiden das.
Zur Zeit kann man in vielen Bereichen beobachten, dass das Publikum, oder die Kunden bestimmen sollen, wo es lang geht. Das ist besonders bei Medien fragwürdig, da das Publikum ja gar nicht weiß, was in der Welt passiert, bevor es Medien vermitteln.
Wenn man die Wahl hat zwischen zwei Ereignissen, die man beide nicht kennt, kann man sich nicht wirklich entscheiden. Deshalb richten sich viele Medien danach, was beim Publikum gut ankommt, beziehungsweise nach dem, was im Internet am meisten Klicks bekommt, weil es die Meisten interessiert. Also die alten Zugpferde „Sex und Kriminelles ( Polizeibericht )”, sowie Sport und Tipps für den Alltag, aber nur wenig politische Berichterstattung, wenig Wirtschaft, wenig Kultur, sondern lieber, was irgend welche zweitrangigen Sternchen in irgend welchen billigen Produktionensagen. Harte Fakten, gute Recherche, durchdachte Kommentare sind selten geworden.
Das ist kein Wunder, denn das macht viel Arbeit, kostet Geld und bringt weniger Klicks, sei es, weil es den Nutzern zu anstrengend ist, sei es weil die Nutzer den Wert nicht mehr erkennen, oder sei es, weil sie sich über solche Dinge anderswo ( ob das besser ist? ) informieren. Angeklickt wird, was Aufregung verspricht, oder aber was einem vermittelt, was man früher zuhause bei den Eltern durch Mitmachen lernte, also Haushalt, Pflege von Kleidung und Besitz.
Das ist für die Gemeinschaft, für die Demokratie eine Katastrophe, weil nicht mehr das vermittelt wird, was für das Zusammenleben wichtig wäre, was für die politische Meinungsbildung notwendig wäre, sondern das, was der Durchschnitt für wichtig hält. Das kann aber laut der Gauss-schen Normalverteilung eben nur Durchschnitt sein. Früher dagegen erwogen Medienmacher ( Journalisten) täglich, was für ihre Kunden das Wesentliche und Wichtigste wäre und bemühten sich das zu liefern. Das war anstrengender, aber in der Regel in klarer Sprache und fehlerfreier Schrift. Beides ist heute nicht mehr allen in der Branche gegeben. Woher sollen Kinder Rechtschreibung und Satzbau lernen, wenn es an guten Vorbildern fehlt?
Früher musste ein Foto aufwändig für den Druck vorbereitet werden und wurde daher nur ins Blatt gebracht, wenn es den Text um Wesentliches ergänzte, sei es die Abbildung einer wichtigen Person, oder eines herausragenden Ereignisses. Heute macht das Fotos kaum noch Mühe. Leider geben sich die Medienmacher damit auch kaum noch Mühe. Die Süddeutsche zeigt seit einiger Zeit unscharfe Vergrößerungen von Fotos. Andere zeigen Fotos, die man früher nicht mal beim Dia-Abend eines Amateurs geduldet hätte, falsch belichtet, ungünstiger Bildausschnitt, oder man lässt sich die Fotos gleich von Firmen und Institutionen liefern, ohne an journalistische Unabhängigkeit auch nur zu denken.
Welche Folgen hat das?
Der Kenntnisstand der Meisten wird schlechter, als er früher war, weil man von vielen Medien daran gewöhnt wurde sich mit minderer Qualität abzufinden. Das begann teilweise mit der Einführung von Privatfunk und Privat-Fernsehen, aber auch mit dem naiven Wunsch „irgend was mit Medien” zu machen, ohne genau zu wissen, was das sein soll und was das bedeutet.
Der seriöse Journalist war ein Diener seiner Leser, Hörer oder Zuschauer. Heute dagegen geht es darum möglichst viele Nutzer und damit Geld ( Werbeeinnahmen ) zu bekommen, also wird reisserisch berichtet und der Boulevard verbreitet sich immer mehr. Daran ist auch die Politik Schuld, die um 1984 forderte, dass sich die öffentlich rechtlichen Medien an der Zahl ihrer Nutzer messen lassen müssten. Damit war nicht mehr die Qualität der entscheidende Maßstab, sondern die Menge der Nutzer!
Das den Wünschen der Kunden nachlaufen klingt zunächst mal sehr demokratisch, vernachlässigt aber die Mathematik, die zeigt, dass der Durchschnitt eben auch nur durchschnittlich gut sein kann. Geistige Anstrengung, ernsthafte Kommentare, die die Fragen der Zeit behandeln, anstrengende Texte, die man langsam lesen muss, um sie zu verstehen, das ist nicht mehr gefragt, sondern mediales „Fast Food” mit eben so geringem Nährwert. Das Ergebnis ist, dass der Durchschnitt sich nicht mehr bemühen muss irgend etwas zu verstehen, weil er ja das bekommt, was er scheinbar will. Das ist, als ob man kleinen Kindern eine große Schüssel voller Schokolade vorsetzt, aus der sie so viel Essen dürfen, wie sie wollen, bis ihnen schlecht wird.
Wer sich darüber wundert, dass Verschwörungstheorien blühen, der vergisst, dass die Medien um des höheren Gewinnes willen, viele kleine Redaktionen aufgelöst haben und die Inhalte oft unverändert von Nachrichtenagenturen ( z.B. dpa / Deutsche Presse Agentur ) übernehmen und so den Eindruck erwecken, die Medien seien in irgend einer Weise gelenkt. Ja, das Gewinnstreben entscheidet.
Zumindest die Privatwirtschaftlichen Medien sind vor allem von dem Wunsch Geld zu verdienen angetrieben, nicht aber vom Wunsch den Bürgern zu dienen, oder aber ihre Aufgabe in der Demokratie zu erfüllen. Wenn aber alles gleich scheint, wird es verdächtig und die Menschen suchen nach den Gründen dafür und fallen um so leichter auf Verschwörungstheorien herein, da viele Medien ihnen zu wenig ernsthafte Orientierung und Vielfalt bieten.
In Stuttgart sind die beiden Lokalblätter zu einem geworden, das unter zwei Aufmachungen erscheint, obwohl vor 40 Jahren die gemeinsame Vermarktung der Anzeigen nur unter der Bedingung erlaubt wurde, dass die Redaktionen getrennt bleiben würden. Das Geld hat sich durchgesetzt und nicht die Vielfalt oder die Qualität.
So konnte man hunderte Journalisten sparen, am liebsten Ältere, weil die wegen ihrer Erfahrung besonders teuer waren. Der Inhalt ist dabei immer schlechter geworden und die saubere Trennung von Redaktion und Werbung wird fast täglich verwischt.
Kürzlich wurde dazu aufgerufen die Demokratie zu schützen und zu verteidigen, weil sie ebenfalls eine wichtige „Infrastruktur” sei. Ein Teil der Medien hat das vergessen, oder dem Gewinnstreben geopfert. Das sind Leute, die irgend welchen Vorgaben nachlaufen, ohne zu wissen, wohin das führt. Sehr wahrscheinlich in die Irre zum Schaden aller Bürger.
 
Bild: Oben eine Herde Schafe in England