Alter entwertet
Vieles braucht man nicht mehr. Das kann befreiend sein.
Carl-Josef Kutzbach
Sonntag, 16. Dezember 2018
 
Zu den Überraschungen, die das Alter mit sich bringt, gehört, dass es Dinge entwertet. Ich werde nicht mehr Einrad fahren, ja sogar das Fahrrad habe ich verschenkt. Die Jonglierbälle und ähnliche Sportgeräte verstauben. Dass ich Zelt, Schlafsack, Campingkocher und Geschirr noch mal gebrauchen werde, ist unwahrscheinlich. Auch Bohrmaschine und elektrische Sägen habe ich schon länger nicht mehr benutzt. Mit der Gartenarbeit habe ich aufgehört und die Geräte stehen nutzlos herum, so wie die Skier im Keller, oder das Fotolabor. Selbst die Wanderstiefel sind nur noch sehr selten in Gebrauch.
Auch im Bücherregal setzen viele Bände Staub an, die ich wohl nicht mehr lesen werde, ja manche werde ich nicht mal mehr zum Nachschlagen öffnen. Ähnlich ist es mit Küchengeräten, wie dem Waffeleisen, oder dem Fondue-Set. Noch vor wenigen Jahren habe ich mir ein schlichtes weißes Geschirr gekauft, um nicht mehr von billigem Pressglas aus der Zeit nach dem Auszug bei den Eltern essen zu müssen. Ich benutze es täglich, aber auf die meisten Schüsseln hätte ich wohl gut verzichten können, da ich selten Gäste habe.
Auch die Rezepte in den Kochbüchern werden nutzlos, wenn man allein lebt und daher nur kleine Mengen zubereitet, um nicht mehrere Tage dasselbe essen zu müssen. Die Rezepte sind in der Regel für mehrere Personen gemacht und manches Gemüse oder mancher Salat ist so groß, dass es zwangsläufig mehrere Portionen ergibt.
Kauft man im Laden kleine Packungen, dann sind die teurer, als Großpackungen. Hier wird also die Genügsamkeit auch noch durch höhere Kosten bestraft. Bei frischen Waren richtet sich zwar der Preis nach dem Gewicht und es ist auch leckerer Frisches zu essen, aber dafür hat man ein schlechtes Gewissen, weil für die kleine Menge fast so viel Verpackungsmaterial (Tüten, Folien, Behälter) verwendet werden, wie bei größeren Mengen. Hier trägt man also unabsichtlich zum Müllberg bei.
Obendrein sammeln sich in einem Haushalt Dinge an, an denen man mal hing, die aber an Bedeutung verloren haben, egal ob selbst gebaute Regale, getöpferte Vasen, Thermoskannen, Spiele, zu denen einem der Partner fehlt; Andenken, Geerbtes, Fotoalben, alte Kleidungsstücke, die man „nur für Notfälle” oder zum Arbeiten im Dreck (das auch seltner wird) noch aufhebt; alte Schreibmaschinen, Radios, Schallplatten, Kassettenrekorder, Kameras, Dia- und Film-Projektor, Leinwand; Bilder, die man selbst, oder die Kinder mal gemalt haben; Blumentöpfe, die man mal bekam und die so robust sind, dass sie trotz wenig Zuwendung immer noch grünen und blühen; Übertöpfe von Blumenstöcken, die dennoch eingegangen sind, oder die man verschenkte. Im Laufe eines Lebens, das in jungen Jahren vom Erwerb und vom Sammeln für den eigenen Hausstand geprägt ist, der dann wächst und im Alter zu umfangreich wird, wie ein zu groß geratenes Kleidungsstück, sammelt man eben so Manches, was man mal ganz wichtig fand, das aber mit zunehmendem Alter an Reiz und Bedeutung verliert.
Bei den Dingen für die man mal lange sparen musste und viel Geld ausgab, zögert man sie weg zu geben oder zu verkaufen, weil einen der Wertverlust ärgert, etwa bei der analogen Kamera-Ausrüstung mit den verschiedenen Objektiven für ein paar Tausender, oder der Speicherschreibmaschine samt 5,5 Zoll Laufwerk, die mal mehrere Tausender kostete, die aber jetzt defekt ist und nur noch Schrottwert hat; von alten Rechnern, Druckern, Fax, Anrufbeantworter und Mobil-Telefonen ganz zu schweigen. Die IT-Branche ist einer der größten Erzeuger von unnötigem Müll! Technisch ließen sich sehr viel langlebigere Produkte herstellen. Die Ausrede „aber die Kunden wollen das so” ist verantwortungslos, denn sie schiebt die Verantwortung für die Müllproduktion und die geringe Haltbarkeit der Gegenstände dem Kunden in die Schuhe, statt sich an der eigenen Nase zu packen und von der Verantwortung der Hersteller für die Umwelt zu reden, denn das häufige Plündern des Geldbeutels der Kunden auf Kosten der Umwelt ist offenbar zu verlockend. Solche Firmen sind Ausbeuter ohne Verantwortung und man sollte sie, wo es geht, meiden.
Es stört nicht nur der Wertverlust, sondern auch die geringe Haltbarkeit vieler Güter, die man sich als „Anschaffung für's Leben” gedacht hatte. Überall grinst hämisch Vergänglichkeit. Überall leiden Geldbeutel und Umwelt. Dass es anders ginge zeigen zwei Topflappen und eine Wollweste, die mir vor über 40 Jahren eine Freundin selber machte und die bis jetzt hielten. Von den Möbeln der Eltern ganz zu schweigen, die bei vernünftiger Behandlung und ein wenig Pflege leicht noch ein paar Generationen aushalten würden. Aber die wird vermutlich niemand mehr haben wollen, obwohl es sich nicht um „Gelsenkirchener Barock” handelt.
Dass es einem so schwer fällt sich von den alten Dingen zu trennen, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass man selbst alt ist und merkt, dass auch man selbst nicht mehr so gefragt ist, wie einst, auf dem Höhepunkt der Schaffenskraft. Da spürt man eine gewisse Verbundenheit mit den Dingen, die nun auch nicht mehr so wertvoll zu sein scheinen, wie bei ihrer Anschaffung. Und man spürt vielleicht auch eine Verantwortung dafür, dass die Dinge, die noch gut sind, noch so lange wie möglich genutzt werden, sei es aus Sparsamkeit, zwecks Umweltschutz und Rohstoff-Schonung oder schlicht, weil sie so gut und schön sind, wie man es heute nicht mehr bekäme.
Aber je mehr man von all diesen Dingen los wird, umso mehr verwandelt sich die Wohnung von einem voll gestopften Museum des eigenen Lebens, also der Vergangenheit, in einen Lebensraum, in dem man immer freier atmet, je mehr man wieder Platz hat und in der Gegenwart zu leben vermag.
Das steht heute dort, ohne große Bäume, dafür in schwarz:
 
 
Ein Haus samt alten Bäumen, im Stil der Nachbarhäuser muss für Modernes (Baureklame) weichen. Ergebnis siehe unten.