Allem Anschein nach herrscht überall Personalmangel. Es gibt zu wenig Ärzte, zu wenig Pfleger, zu wenig Bedienungen in der Gastronomie, zu wenig Personal auf Flughäfen und in Fliegern, zu wenig Lokführer und Zugführer bei der Bahn, beim öffentlichen Nahverkehr fallen Fahrten aus, weil es an Personal fehlt. Straftäter müssen entlassen werden, weil ihnen die Gerichte nicht rechtzeitig den Prozess machen konnten, Behörden kommen den Anliegen der Bürger ( Pass, Personalausweis, Führerschein, Aufenthalts- oder Bau-Genehmigungen ) nicht mehr hinterher. Lehrer fehlen zumindest in einigen Fächern. Handwerker klagen, dass sie keine jungen Menschen finden, die bei ihnen eine Ausbildung machen wollen und die Wirtschaft klagt, dass es ihnen an gut ausgebildeten Kräften fehle.
Manchmal ist der Personalmangel Folge von Fehlentscheidungen, etwa im Flugverkehr, wo man während der Pandemie viele Leute entlassen hat, die jetzt verständlicher Weise keine Lust mehr haben wieder zu kommen, weil sie sich längst eine andere, sicherere Stelle gesucht haben. Auch angestellte Lehrer, die das Land in den Sommerferien in die Arbeitslosigkeit schickt, um zu sparen, sind sehr wahrscheinlich nach den Sommerferien nicht in gleicher Zahl ( 4000 ) wieder verfügbar. Ob eine Ersparnis von 3-4000 Euro pro Kopf das wert ist?
Wer nicht bereit ist sich den Mühen einer Ausbildung junger Menschen zu unterziehen, der muss sich nicht wundern, wenn er keinen gut ausgebildeten Nachwuchs findet.
Die Pandemie dürfte, bei über 100 000 täglichen Neuerkrankungen, sicher auch eine Rolle spielen, indem sie die Zahl der Kranken und in Quarantäne Befindlichen erhöht, also Löcher in die „Personaldecke” frisst. Aber langt das als Erklärung? Es ist wohl eher anders herum, dass man während der strickten Einschränkungen durch die Pandemie, die für Manche Heimarbeit, für Andere Kurzarbeit bedeuteten, den Mangel nicht so deutlich wahr genommen hat, außer in der Pflege und in der Medizin.
Ab und zu hört man Geschichten von Leuten, die 20 Euro in der Stunde bar auf die Hand haben wollen, also schwarz und ohne Sozialversicherung. Diese unrealistischen Forderungen gibt es von Leuten, die ziemlich wenig Ahnung von Finanzämtern, Steuerprüfungen und Sozialer Absicherung verstehen, sondern meinen so ganz schnell reich werden zu können. Aber das dürfte eine Minderheit sein, denn die Meisten der 40 Prozent der Bevölkerung, die bei steigenden Preisen kaum über die Runden kommen, sind über jede zusätzliche Einnahme froh.
Ein Grund, der sich schon vor der Pandemie abzeichnete dürfte der immer stärkere Leistungsdruck in manchen Betrieben sein. Dauernde Erreichbarkeit plus immer stärkere Belastung nehmen die Freude an der Arbeit und führen zur Überlastung, denn je höher die Leistung sein soll, desto mehr Energie muss man hinein stecken. Wenn dann noch die Freude fehlt, kann das rasch zu einer Erschöpfungsdepression führen, oder zur Überlegung, ob man nicht die Stelle wechseln sollte, was angeblich 20 Prozent der Lehrer umtreibt. Hier haben Teile der Wirtschaft versucht ihre Mitarbeiter immer stärker auszubeuten, ohne die Folgen zu bedenken. Bei Ärzten hört man, es wollten immer mehr nur als Angestellte arbeiten, aber keine eigenen Praxis mehr eröffnen, weil ihnen das Risiko zu hoch, oder die Belastung zu groß erscheint. Damit wächst einerseits der Ärztemangel, vor allem in ärmeren Vierteln, wo es wenige Privatpatienten gibt, die das Einkommen absichern oder erhöhen, und andererseits wächst die Belastung der verbliebenen Ärzte, die manchmal gar keinen Nachfolger finden.
Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung ( IAB ) nennt noch weitere Gründe:
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• Während der Pandemie liefen viele Zeitarbeitsverträge aus; ohne Ersatz.
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• Dort wo es Kurzarbeit gab, gingen weniger Mitarbeiter verloren.
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• Geringfügig Beschäftigte ( Minijobs ) bekamen kein Kurzarbeitergeld und mussten sich deshalb eine andere Stelle suchen, um finanziell über die Runden zu kommen.
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• Die Zahl der Neueinstellungen lag wegen der Pandemie zwei Jahre lang sehr niedrig, so dass zwar Menschen ( auch Altersbedingt ) Stellen verließen, aber kein Ersatz eingestellt wurde. Diese Einstellungslücke verstärkt jetzt den Mangel.
Dass Handwerker und Firmen klagen, dass sie schwer junge Menschen finden, die sie ausbilden könnten, ist nicht neu. Auch nicht die Klage, dass die Jungen zum Teil überhaupt noch nicht ausbildungsreif seien, weil ihnen Grundkenntnisse fehlen. Das könnte sich durch die Pandemie und die ausgefallenen Schulstunden verschärft haben, aber es gab schon immer bei Meistern – die ihren Beruf beherrschten – auch übertriebene Vorstellungen darüber, was ein angehender Lehrling können sollte, weil sie sich einfach nicht mehr an ihre eigenen Anfänge erinnerten, oder die in einer Zeit lagen, in der es sehr streng zuging und Gehorsam anstelle von Fragen-stellen gewünscht war. Andererseits scheinen Schulen die Anforderungen gesenkt zu haben worüber auch die Hochschulen klagen, vor allem bei G8-Absolventen, also ein Jahr Jüngeren, was eigentlich nicht überraschend ist, weil ein Jahr an Reife fehlt.
Allerdings dürfte die weite Verbreitung von Smart-Phones und so genannten „Sozialen Medien” das Problem verschärft haben, da sie allem Anschein nach die Konzentrationsfähigkeit der jungen Menschen senkt, auf zur Zeit knapp 7 Sekunden. Wer sich aber nicht länger auf irgend etwas konzentrieren kann, oder meint ständig auf sein Gerät schauen zu müssen, wie soll der mit komplizierteren Dingen in einer Berufsausbildung zurecht kommen?
Möglicherweise hat auch die Digitalisierung mit dazu bei getragen, dass sich junge Menschen mit einer Ausbildung schwer tun. Viele digitale Dienste und Angebote erwecken den Anschein, als ob das alles nur ein Spiel sei und als ob man fast alles jederzeit wieder löschen oder rückgängig machen könnte. Das könnte dazu führen, dass man nicht übt Dinge wohl durchdacht, konzentriert und Schritt für Schritt richtig zu machen, wie es notwendig ist, um solide Arbeit zu liefern, oder für die Kunden verlässlich und zuverlässig zu sein.
Dass Bahn und Fliegerei mit ihrer Unzuverlässigkeit ein schlechtes Beispiel geben und in jungen Menschen die falsche Vorstellung wecken, dass man auch so Geld verdienen könne, wird nicht bedacht. Welche Firmen hätten wohl die Pandemie ohne staatliche Unterstützung gemeistert?
Auch die Medien könnten mit ihrem Häppchen-Journalismus - vor allem in den privaten Zeitungen und Sendern - mit zu falschen Vorstellungen beigetragen haben, da sie kaum noch längere, wohl durchdachte Analysen bieten, sondern meist nur kurze Schnipsel von Informationen, die ohne Einordnung und ohne Hintergrundwissen ziemlich wertlos sind. Da sie obendrein voller Fehler sind, können die Jungen von ihnen nicht mal mehr die Rechtschreibung lernen. Diese Beliebigkeit tut niemand gut. Wenn dann die Redaktionen meinen, sie müssten – wegen der Klicks und damit der Einnahmen – vor allem das bringen, was die Leute gerne sehen, führen sie diese in die Irre. Journalismus muss wissen, was für die Leute wichtig wäre und das bieten. Dass das in der Regel Nachrichten sind, die auf Gefahren oder Unerfreuliches hin weisen, liegt in der Natur der Medien, die bei einem begrenzt zur Verfügung stehenden Platz zu allererst das bringen müssen, was für die Nutzer wichtig ist. Süße Katzenbilder oder hübsche Sonnenuntergänge gehören da eher nicht dazu. Schon Erich Kästner musste sich fragen lassen: „Wo bleibt das Positive?” Das Problem ist also nicht neu.
Wenn man versucht all das zu gewichten, dann darf man aber nicht vergessen, dass es noch andere Gründe geben könnte. Man hat in manchen Bereichen, z.B. Brandschutz, auf Grund schlechter Erfahrungen die Regeln strenger gemacht. Wegen des Klimawandels sind die Vorschriften zur Wärmedämmung und Heizung verschärft worden. Weil das Auto in den Städten den Menschen den Platz streitig macht, will man es zurück drängen. All das führt zu immer mehr Schildern, Regeln, Vorschriften, die aber wirkungslos werden, wenn man sie nicht kontrolliert. Wenn aber die Polizei in Stuttgart jährlich 1400 Demonstrationen begleiten muss, oder zu Fußballspielen und Großveranstaltungen eingesetzt wird, dann können sie andere Aufgaben nicht mehr leisten, wie einst der Schupo ( Schutz-Polizist ) an der Ecke.
Es könnte also sein, dass die Gesellschaft sich einfach zu viel vorgenommen hat, oder, dass Politiker Forderungen aufgestellt haben, die mit den zur Verfügung stehenden Kräften einfach nicht zu leisten sind. Wenn beim Stuttgarter Gartenbauamt 19 Gärtner fehlen, oder fehlten, dann sieht man das in der ganzen Stadt, weil Grünflächen und Parks weniger gepflegt sind, oder gleich unter Pflaster und Asphalt verschwinden, weil das weniger Arbeit macht. Genau so kann die Stadt unzulässiges Leerstehenlassen von Häusern nicht verfolgen, weil es an Personal mangelt.
Wenn Bauten Jahre und Jahrzehnte dauern ( BER, S21 etc. ), obwohl man schon 1912 in Stuttgart nach dem Brand des Opernhauses in knapp 9 Monaten ein neues Opernhaus plante und erstellte, dann war das sicherlich ohne raffinierte Elektronik, aber die Aufführungen wurden trotzdem weit über Stuttgart hinaus beachtet. Muss man wirklich immer die Technik auf die Spitze treiben? Die Lkw-Maut hat gezeigt, dass man ein Projekt durch übertriebene Ansprüche auch beschädigen und verteuern kann.
Es könnte auch sein, dass man der Verlockung und den Verheißungen des Digitalen erlegen ist und meint, man müsse die gesamte Welt noch einmal als digitales Abbild erschaffen, um dann damit arbeiten zu können. Dabei müsste eigentlich klar sein, dass trotz aller digitalen Hilfsmittel das eine riesige Aufgabe ist, die die Arbeitskraft vieler Menschen bindet. Vielleicht haben wir uns auch da übernommen.
Fragt man sich, warum man bei vielen Projekten nicht auch mit einer bescheideneren Ausführung zufrieden ist, dann spielt sicherlich eine Rolle, dass der Gewinn für Architekten und Bauherren, Hersteller und Betreiber, vor allem für Investoren, oft um so größer ist, je teuerer das Ganze wird. Dass die Vergaberegeln, die dem Billigsten den Zuschlag verschaffen, falsch sind, ist bekannt, weil sie zu Dumpingpreisen beim Angebot und hohen Nachforderungen später führen. In der Schweiz bekommt deshalb der Zweitbilligste den Zuschlag. Das scheint zumindest besser zu funktionieren, als bei uns.
Da unser Wirtschaftssystem von ständigem Wachstum ausgeht, das es in der Natur nicht gibt, muss man sich nicht wundern, wenn wir die Natur ruinieren und uns selbst auch gleich mit. Dass man aus einem Krug nicht mehr heraus holen kann, als drin ist, weiß man seit Jahrtausenden. Nur wir meinen heute, es ging dennoch, obwohl die Warnung vor den Grenzen des Wachstums vor 50 Jahren eigentlich nichts anderes sagte, als dass man auf einem begrenzten Planeten nicht mehr nutzen darf, als er geben kann.
Möglicherweise ist der heutige Personalmangel auch eine Warnung, dass wir uns nicht überfordern sollen, sondern lernen müssen unsere Kräfte einzuteilen.
Die Bilder oben zeigt, wie Personalmangel am 8. Juli 2022 zu Ausfällen von Bussen im VVS führt.