Als Einzelner machtlos?
 
Es gibt Dinge und Zustände, bei denen die Meisten achselzuckend sagen: "Da kann man nichts machen. Das ist halt so." Und vielleicht fügen sie noch hinzu: "Klar ist das nicht gut, aber als Einzelner bist Du machtlos."  Und dann wenden sie sich Erfreulicherem zu, etwa Brot und Spielen, oder einer künstlichen Scheinwelt.
Menschlich ist dieser Vorgang verständlich und bis zu einem gewissen Grade auch gesund. Die Kräfte für eine unlösbare Aufgabe verschwenden, sich ohnmächtig fühlen, oder ständig an etwas Negatives denken, tut nicht gut.
Andererseits bleibt im Unterbewussten sozusagen ein Stachel stecken: "Da ist etwas, wie es nicht sein sollte. Da ist etwas, was mir nicht gefällt. Das sollte man eigentlich anpacken und ändern." Auch das ist nicht gut und gesund.
Wie mit diesem Zwiespalt umgehen? Es gibt einige Strategien mit unterschiedlichen Folgen:
  1. 1.    Man ändert seine Einstellung und versucht fest daran zu glauben, dass es gut sei, wie es ist. Damit fällt der Druck etwas zu ändern weg. Kurz, man stellt sich dümmer, als man eigentlich ist. Aber ob das Unterbewusstsein mitspielt? Und ob sich die Zustände nicht mal gegen einen selbst richten? Es ist tröstlich zu glauben, der Herrgott werde schon wissen, was er tut, auch, wenn man es nicht verstehe, weil man eben nicht über seine Weisheit verfüge. Aber was wäre, wenn der Schöpfer es gar nicht so gemeint hat? Wenn er meinte, dass wer ein Hirn besitzt, das auch benutzen soll? Wie soll man wissen, was man tun soll? Das Gleiche gilt für die Obrigkeit, den Chef, die Gemeinde, das Land, den Bund, die Weltgemeinschaft: Wie soll man erkennen, ob sie es gut mit einem meinen und was sie dafür von einem verlangen? Wie viele überzeugte Deutsche wurden umgebracht, weil unter ihren Vorfahren - für die sie ja nun nichts konnten - Juden waren?
  2. 2.    Man versucht das Problem zu verdrängen und zu leugnen. "Davon versteh ich nichts. Das wird schon seine Richtigkeit haben. Das haben Klügere als ich entschieden." Woher weiß man das? Seit wann werden die Intelligenzquotienten von Chefs und Politikern veröffentlicht? Und wer kennt den eigenen? Und bedeutet intelligent sein, auch menschlich anständig und auf das Gemeinwohl bedacht zu sein? Doch sicherlich nicht zwingend. Diese Haltung ist wiederum gefährlich. Einmal wegen des eigenen Unterbewusstseins, das vielleicht nicht mitspielt. Zum Anderen, weil ja der Eichmann-Prozess (Eichmann hatte im 3. Reich einen großen Teil der Vernichtung der Juden organisiert) gezeigt hat zu welchen Verbrechen jemand fähig ist, der blind der Obrigkeit vertraut und von sich selbst und seiner Unschuld überzeugt sagt: "Ich habe nur meine Pflicht getan." Dass sich eine derartige Haltung gegenüber Mächtigen zunächst mal auszahlen kann, ist unbestritten, aber Hexenprozesse, französische Revolution, Maos Kulturrevolution und andere gut dokumentierte Ereignisse zeigen, dass man in Zeiten des Umbruchs sehr rasch auf der falschen Seite landen kann und dann um sein Leben fürchten muss.
  3. 3.    Man grübelt ständig dran herum, ärgert sich über die eigene Unfähigkeit und die Gleichgültigkeit der Mitmenschen, die das Problem (s.o.) nicht sehen, oder nicht sehen wollen und damit zu seinem Erhalt beitragen. Man macht ihnen Vorwürfe, die sie nicht verstehen und auch nicht verstehen wollten, und verliert so mögliche Mitstreiter. Man trägt also selbst ebenfalls durch unkluges Verhalten dazu bei, dass sich nichts ändert. Zugleich verringert man die Qualität des eigenen Lebens, weil man wie gebannt auf das starrt, was unzulänglich ist. Manch ein verbitterter Alter, dem "die ganze Richtung" nicht passt, verhält sich nach diesem Muster. Immerhin kann man sich so für geistig überlegen halten und die anderen für dumm. Nur macht das eher unglücklich und einsam. Und das Problem bleibt bestehen.
  4. 4.    Man kann sich auch von der Welt abwenden, in einer kleinen Gemeinschaft Gleichgesinnter leben und alles, was drum herum geschieht als böse und feindliche Außenwelt erleben, vor der man nur in der Gemeinschaft sicher sei, weil die Mitglieder der Gemeinschaft ja durch ihr Mitwirken zeigen, dass sie den richtigen Glauben, die richtigen Vorstellungen von der Welt haben, denn sie decken sich schließlich mit den eigenen Ansichten und Bedürfnissen. Kurz: Hauptsache mir geht es gut, der Rest der Welt interessiert mich nicht. Das kann funktionieren und zum eigenen Überleben beitragen, aber damit ändert sich am Problem nichts.
  5. 5.    Wie wäre es dagegen den Zwiespalt dadurch zu lindern, dass man dem Problem einen Platz zuweist? Ja, das ist ein Problem. Nein, im Augenblick habe ich noch keine Lösung dafür. Damit es mich nicht ständig belastet, widme ich ihm mich jetzt eine gewisse Zeit und nehme mir dann vor es nach eine bestimmten Pause wieder anzupacken. Vielleicht nach diesem Muster:
 5.1.     Warum ist das für mich ein Problem (subjektiv)?
  1.  5.2.    Warum ist das für viele Menschen ein Problem (Versuch            der Objektivierung)?
     5.3.    Was hat zu diesem Problem geführt?
     5.4.    Wem nutzt das Problem?
     5.5.    Wer ist für das Problem verantwortlich?
     5.6.    Sieht der das Problem?
 a)    Wenn ja, will er es lösen?
         b)    Wenn nein, warum nicht?
         c)    Welchen Vorteil bietet es ihm?
 5.7.    Wer ist davon betroffen (mögliche Mitstreiter)?
     5.8.    Welche Folgen hätte es, das Problem zu lösen?
     5.9.    Sind diese Folgen akzeptabel?
     5.10.    Lassen sich unerwünschte Nebenwirkungen verringern?
  1. 5.11.    Welcher Aufwand für die Lösung des Problems und die möglichen Folgen erscheint gerechtfertigt?
  2. 5.12.    Wie lässt sich das vermitteln, damit man Mitstreiter gewinnt?
  3. 5.13.    Wie muss man bei der Veränderung vorgehen, damit sie erfolgreich verläuft?
  4. 5.14.    Wie rasch darf die Veränderung stattfinden, so dass die Menschen "mitkommen".
  5. 5.15.    Reicht meine Kraft und Geduld, oder brauche ich Hilfe?    5.16.    Wenn ich alleine das nicht schaffe, mit wem kann ich darüber reden?
    Das sind jetzt viele Schritte und es mögen noch mehr Schritte nötig sein, aber auch die Pausen zwischen den einzelnen Schritten sind nötig, denn wenn ich mich überfordere, ändert sich auch nichts am Problem, aber ich habe ein zusätzliches Problem.
 6. Ich bin ein Held und traue mir zu das Problem im Alleingang anzugehen (etwa wie Snowdon, der im Alleingang die Machenschaften des amerikanischen Geheimdienstes aufdeckte, aber ohne Medien wäre auch er hilflos gewesen). Das geht sicherlich nicht bei jedem Problem. Und nicht jeder Mensch ist dazu fähig.
  1. 7. Was jeder könnte, wäre in seinem Leben so weit wie möglich darauf zu achten, dass man das Problem nicht größer werden lässt, sondern eher ihm den Raum zur Ausbreitung nimmt.
 7.1. Wer sich über Hektik und Stress ärgert, kann selbst durch Pünktlichkeit und gute Planung dagegen ein wenig angehen.
 7.2. Wer sich über Unfreundlichkeit ärgert, kann sich selbst bemühen stets freundlich und verständnisvoll zu bleiben (ohne sich dabei verbiegen).
 7.3. Wer sich über schlechte Qualität ärgert, kann zumindest gute Qualität loben und ihre Quellen weiter empfehlen.
 7.4. Wer unter Bewegungsmangel und Übergewicht leidet, kann darauf achten weniger zu essen und sich mehr zu bewegen (z.B. Treppe statt Aufzug).
Jedes mal, wenn es einem gelingt seinen kleinen Beitrag zur Lösung der Probleme zu leisten sollte man sich darüber freuen, denn das gibt neuen Schwung für die nächste Aufgabe, für den nächsten Schritt. Es geht nicht darum unrealistisch zu werden und sich selbst über den grünen Klee zu loben, sondern darum sich dessen bewusst zu werden, das man eben wieder mal eine kleines bisschen dazu beigetragen hat, die Welt zu einem angenehmeren und besseren Platz zu machen, als sie ohne diese Tat wäre. Auch eine Überschwemmung beginnt zunächst mit dem ersten Regentropfen. und je mehr Menschen sich in eine andere Richtung bewegen, als die des Problems, desto eher wird es an Macht verlieren.
Der Einzelne kann also durchaus etwas bewegen. Und sei es nur, indem er ein Problem erkennt, benennt oder einen ersten Schritt in eine andere Richtung tut. Wer behauptet, der Einzelne wäre  machtlos, muss sich dem Verdacht stellen, dass er damit einen Zweck verfolgt, sei es, weil er (als Mächtiger) keine Veränderung wünscht, sei es, weil er den Einzelnen im Glauben an seine Ohnmacht bestärken will, damit der ihm nicht in die Quere kommt. Oder jemand behauptet die Ohnmacht des Einzelnen, damit er selbst mit seiner Untätigkeit oder Gedankenlosigkeit nicht auffällt. Wenn gar Politiker von "undenkbar" oder "alternativlos" reden, dann ist das a) eine Bankrotterklärung ihrer Phantasie und b) ein Grund ihnen ganz genau und misstrauisch auf die Finger zu schauen.
Auch die Wissenschaft begreift immer mehr, wie wesentlich selbst einzelne Atome, ja sogar Elektronen sind. Wenn ein Elektron in einem Atom auf eine Ebene wechselt, in der es weniger Energie benötigt, gibt es die überflüssige Energie in Form von Licht ab. Wenn man elektronische Bauteile aus Halbleitern herstellt, dann kommt es auch da darauf an, wie viele fremde Atome - so ähnlich, wie das Salz in Speisen - im Material drin sind, weil das die Eigenschaften des Materials verändert. Beim Essen sind es winzige Mengen von Gewürzen, die die Speisen nicht nur schmackhafter, sondern auch besser verdaulich machen. Ja ein Grundsatz der Physik sagt sogar, dass kein Stückchen Materie, kein noch so kleines Quantum an Energie verloren gehen kann. Wenn das schon in der nicht lebenden Welt der Atome und Moleküle so ist, dann ist das in Ökosystemen, also der lebenden Welt sehr wahrscheinlich ähnlich. Genau so ist auch jeder Einzelne für die Gesellschaft und die Welt wichtig, auch, wenn es ihm und den Mitmenschen manchmal nicht klar ist.
Fazit: Der Einzelne ist nicht nur nicht machtlos, es kommt sogar auf jeden Einzelnen an, denn alles, was jeder Einzelne tut, hat eine Wirkung. Jeder Einzelne bestimmt mit, wie diese Welt gestaltet wird. Mal ist der Beitrag bescheiden, mal überwältigend, aber da ist er immer.
 
Die Wespe im Bild fragt überhaupt nicht nach Macht, oder Machtlosigkeit, sie macht einfach...
 
 
Carl-Josef Kutzbach
Montag, 6. Januar 2014